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Verluste vermeiden reicht nicht – der Einzelhandel braucht mehr Coronahilfe vom Staat

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Von: Stefan Genth

Stefan Genth: Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE fordert angesichts der am Donnerstag beschlossenen 2G-Pflicht im Handel einen umfassenden Schadensausgleich.
Stefan Genth: Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE fordert angesichts der am Donnerstag beschlossenen 2G-Pflicht im Handel einen umfassenden Schadensausgleich. © Michael Kappeler/Imago/Stefan Litzka

Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE hat angesichts der angekündigten 2G-Pflicht im Handel einen umfassenden Schadensausgleich gefordert. Die geltenden Regelungen würden die Einbußen aus dem aktuell schwierigen Weihnachtsgeschäft nicht ausgleichen, schreibt Genth im Gastbeitrag.

Berlin - Das Weihnachtsgeschäft ist für den Einzelhandel die wichtigste Zeit des Jahres. Es trägt bei vielen Unternehmen ein Viertel oder mehr zum gesamten Jahreserfolg bei. Oder anders: Das Weihnachtsgeschäft kompensiert das Sommerloch. Aktuell gehen durch die steigenden Corona-Inzidenzen und die 2G-Regelung die Umsätze stark zurück und das Weihnachtsgeschäft kann seinen wichtigen Beitrag nicht leisten – zum zweiten Mal in Folge. Die Wirtschaftshilfen sind als Ersatz unzureichend.

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Die Hilfen für den Einzelhandel bestehen aus zwei Komponenten: Der Überbrückungshilfe 3 und ihren Folgeprogrammen sowie der Bundesregelung Schadensausgleich. Diese Programme müssen von der EU-Kommission genehmigt werden, denn damit erhalten die Unternehmen de facto Subventionen.

Die Überbrückungshilfe 3 basiert auf dem befristeten Rahmen der EU-Kommission für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19. Dieser gilt für alle EU-Mitgliedsstaaten und muss damit als kaum veränderbar angesehen werden. Grundlage der Bundesregelung Schadensausgleich ist hingegen ein individueller Antrag der Bundesregierung, Unternehmen, die von staatlichen Schließungsverfügungen betroffen sind, Hilfen gewähren zu dürfen.

Der hierbei zu ermittelnde Schaden ist die Differenz des in den vom Lockdown betroffenen Monaten ermittelten Betriebsergebnisses im Vergleich zum in den entsprechenden Monaten des Jahres 2019 erzielten Betriebsergebnis. Die Hilfen dürfen diesen Schaden nicht überschreiten.

Lockdown-Schaden wird nicht ausgeglichen

Es ist aber keineswegs so, dass der festgestellte Schaden auch tatsächlich ausgeglichen würde. Stattdessen richtet sich die Unterstützung eines geschädigten Unternehmens wiederum nach den Vorgaben der Überbrückungshilfe. Die Zahlungen der Bundesregelung Schadensausgleich werden also on top zur Überbrückungshilfe gewährt. Sie sind deshalb vor allem für die Unternehmen wichtig, bei denen das maximale Volumen der jetzt auf 12 Millionen Euro angehobenen Überbrückungshilfe nicht ausreicht. Für diese Unternehmen eröffnet die Bundesregelung Schadensausgleich ein zusätzliches Volumen von maximal 40 Millionen Euro an Wirtschaftshilfen.

Kernforderungen des HDE

Die Anwendbarkeit der Bundesregelung Schadensausgleich auch bei 2G-Einschränkungen im Einzelhandel

Der Ausgleich des nach den Vorgaben der Bundesregelung Schadensausgleich ermittelten und tatsächlich entstandenen Schadens

Die Gewährung der Hilfen nach der Bundesregelung Schadensausgleich parallel zur Überbrückungshilfe, damit auch kleine Mittelständler davon profitieren können

Überbrückungshilfe: Schon geringe Umsatzrückgänge können fatal sein

Bei beiden Programmen gilt deshalb die Bedingung der Überbrückungshilfe 3, dass mindestens ein Umsatzrückgang von 30 Prozent vorliegen muss. Ansonsten gibt es keine Hilfen. In der wichtigsten Saison des Jahres können aber schon geringere Umsatzrückgänge fatal sein.

Außerdem soll die Überbrückungshilfe nur Verluste begrenzen. Denn es wird nur ein Teil der anfallenden ungedeckten Fixkosten ersetzt. Bei einem Umsatzrückgang zwischen 30 und 50 Prozent im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten werden 40 Prozent der Fixkosten kompensiert. Variable, das heißt kurzfristig durch Einsparungen veränderbare Kosten, werden überhaupt nicht ersetzt. Angesichts der großen Bedeutung des Weihnachtsgeschäfts kann aber kein Einzelhändler seine Geschäfte einschränken. Folglich laufen alle Betriebskosten trotz der erheblichen Umsatzrückgänge in vollem Umfang weiter.

Ausgleich der Fixkosten gleicht schwieriges Weihnachtsgeschäft nicht aus

Der Ausgleich eines Teils der Fixkosten gleicht aber nicht das aktuell schwierige Weihnachtsgeschäft aus. Deshalb sollte die Bundesregelung Schadensausgleich angepasst werden. Sie sollte zum einen so aufgebaut werden, dass sie auch ohne vollständigen Lockdown, also auch bei den aktuellen 2G-Beschränkungen im Einzelhandel angewendet werden kann.

Hilfen müssen komplett umstrukturiert werden

Zum anderen wäre wichtig, dass die Bundesregelung Schadensausgleich nicht nur Fixkosten teilweise erstattet, sondern den tatsächlich entstandenen Schaden ausgleicht. Dies ist wie oben beschrieben die Differenz der Betriebsergebnisse vor Corona und in der Pandemie. Dafür müsste die Hilfe vollkommen umstrukturiert werden. Denn zurzeit wird sie nur gewährt, wenn der Rahmen der Überbrückungshilfe von zehn Millionen Euro vollkommen ausgeschöpft ist und das Unternehmen weitere ungedeckte Fixkosten hat. Kleinere Mittelständler können die Bundesregelung Schadensausgleich aktuell also gar nicht in Anspruch nehmen. Das muss sich ändern.

Damit der Schaden von Einzelhandelsunternehmen angemessen kompensiert werden kann, müsste die Bundesregelung Schadensausgleich parallel zur Überbrückungshilfe gewährt werden. Sie könnte dann bei allen betroffenen Einzelhändlern die Schäden abfedern, die durch die Überbrückungshilfe nicht abgedeckt sind. Der HDE fordert die Bundesregierung deshalb auf, die Bundesregelung Schadensausgleich nach dem oben beschriebenen Muster neu aufzubauen und einen entsprechenden Genehmigungsantrag bei der EU-Kommission zu stellen.

Zum Autor: Stefan Genth seit Juli 2007 Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Zuvor war Genth u. a. Geschäftsführer der Bielefelder Kaufmannschaft GmbH und Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe mit Sitz in Bielefeld.

*Merkur.de ist Teil von IPPEN.MEDIA.

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