Union übernimmt Spitze

Bei Eintracht Frankfurt brodelt es nach der 0:1-Niederlage gegen Wolfsburg hinter den Kulissen: Es gibt Spannungen zwischen Trainer Glasner und Sportvorstand Krösche.
(sid/dpa). Die Fans von Union Berlin skandierten am Sonntag voller Inbrunst »Spitzenreiter, Spitzenreiter«, Trainer Urs Fischer umarmte überglücklich seine Spieler. Durch ein verdientes 1:0 (1:0) beim 1. FC Köln haben sich die Köpenicker an die Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga gesetzt und den SC Freiburg abgelöst, der sich am Sonntagabend torlos von Borussia Mönchengladbach trennte.
»Wir haben einen Lauf. Wir machen es gut. Deswegen stehen wir da, wo wir stehen«, sagte Kapitän Christopher Trimmel bei DAZN. Saisonübergreifend ist Union seit 13 Ligaspielen ungeschlagen. Kölns Innenverteidiger Timo Hübers unterlief bei der ersten Saisonniederlage des FC bereits in der dritten Minute ein Eigentor, kurz darauf scheiterte Jordan Siebatcheu (10.) bei einem sehr fragwürdigen Handelfmeter an FC-Torhüter Marvin Schwäbe. Dennoch betrieb Union Wiedergutmachung für die ärgerliche Niederlage in der Europa League. Zudem freute sich Union über die Rückkehr von Timo Baumgartl, der erstmals nach überstandener Hodenkrebs-Erkrankung im Kader stand.
Neuhaus verletzt sich schwer
Nach ihrer Nullnummer gegen Borussia Mönchengladbach haben die Freiburger also die Tabellenführung nach nur einer Woche an Union verloren - sie konnten es am Ende einer harten Europapokal-Woche verkraften. »Es war ein gutes 0:0. Es war eine gute Leistung. Gladbach hatte auch ein paar Chancen. Daher ist es in Ordnung«, sagte SC-Stürmer Michael Gregoritsch bei DAZN. Vor 34 000 Zuschauern übernahm Freiburg weitgehend die Kontrolle, Chancen hatte aber auch die Borussia. Treffer fielen aber nicht, weil in einer temporeichen Begegnung in erster Linie die beiden Torhüter überragten. An Freiburgs Mark Flekken und Yann Sommer im Borussia-Gehäuse gab es kein Vorbeikommen. Bitter für Gladbach: Nationalspieler Florian Neuhaus musste verletzt raus. »Es sieht nach einer Kreuzbandverletzung aus«, sagte Trainer Daniel Farke hinterher.
(dpa). Die Fragen nach seinem drohenden Rauswurf meisterte Thomas Reis erstaunlich gelassen. Anders als die Vereinsführung, die nach dem 1:3 (0:1) beim FC Schalke auf Tauchstation ging, nutzte der Bochumer Fußball-Lehrer das Rampenlicht für klare Bekenntnisse. Trotz des kapitalen Fehlstarts seines Teams mit sechs Niederlagen in sechs Spielen wirkte der 48-Jährige kämpferisch: »Ich kann nur sagen, dass ich weiterhin Bock habe, den Bock umzustoßen.«
Obwohl die Bochumer als erst drittes Team in der Bundesliga-Historie nach sechs Partien mit null Punkten dastehen, warb Reis um seinen Verbleib. Die in solchen Fällen üblichen Mechanismen verheißen jedoch wenig Gutes für den Trainer. Die VfL-Verantwortlichen berieten laut Medienberichten am Sonntag lange über die Zukunft von Reis, verkündeten aber noch kein Ergebnis.
Ganz so arg, wie Max Kruse, der am Samstag öffentlich für immer beim VfL Wolfsburg aussortiert wurde (siehe Seite 19), ist es den Fußball-Profis der Frankfurter Eintracht nicht ergangen, doch so manchem Recken dürfte am Sonntag noch lange die Ohren geklingelt haben. Der ansonsten verständnisvoll daherkommende Trainer Oliver Glasner hat nach einer desolaten Bundesliga-Vorstellung bei der 0:1 (0:0)-Heimniederlage gegen den wahrlich nicht übermächtigen VfL Wolfsburg andere Saiten aufgezogen - Saiten, die man bisher öffentlich so nicht kannte. Glasner war nach der Pleite bedient, eine solche blutleere Darbietung wollte er sich nicht gefallen lassen. Also stellte er sein Personal in den Senkel, ließ seinem Ärger noch im Kabinentrakt freien Lauf.
»Langsam, behäbig, mit wenig Punch und null Durchsetzungsvermögen« habe sein Team agiert. »Wir hatten sehr selten Tiefe, über Außen waren wir tot«, schimpfte der 48 Jahre alte Fußballlehrer. Die Standards seien »desaströs« gewesen. Der Auftritt habe »nichts mit dem zu tun, was wir spielen wollen und können«, donnerte Glasner, »es hat an allen Ecken und Enden gefehlt«. Für den Sonntag versprach er »harte und deutliche Worte«, er hielt seinen Spielern den Spiegel vor. »Wenn Djibril Sow, der mit Abstand die meisten Minuten gespielt hat, unser aggressivster Spieler auf dem Platz ist, dann machen viele andere etwas falsch.« Er werde nur noch die Spieler aufstellen, die in der Lage seien, »unseren Powerfußball zu spielen«. Das war deutlich.
Rundumschlag kommt nicht gut an
Ohnehin scheint die angeblich heile Welt beim Europapokalsieger in letzter Zeit ein paar tiefe Risse bekommen zu haben. Hinter den Kulissen rumort und brodelt es, es gibt Spannungen, längst herrscht nicht mehr eitel Sonnenschein. Trainer Glasner und Sportvorstand Markus Krösche vertreten in der Frage der aktuellen Personalzusammenstellung inklusive der jüngsten Transferpolitik Vorstellungen, die eher nicht deckungsgleich sind. Der Kader wirkt in der Tat nicht richtig austariert, die Balance ist nicht stimmig, es wurde viel in die Breite investiert, einige Vakanzen - zum Beispiel nach dem Abgang von Filip Kostic - nicht gefüllt. Das schmeckt dem Trainer nicht. Manager Krösche indes erwartet eine Weiterentwicklung des Teams und der einzelnen Spieler, das Aufgebot hält er für gut.
Die Partie gegen Wolfsburg war ein klarer Rückschritt. Auch ist Glasners öffentlicher Rundumschlag nach der Pleite intern nicht gut angekommen. Die Lunte des Coaches ist kürzer geworden, seine permanente laute Einflussnahme irritiert die Mannschaft, auch die Maßregelung einzelner Akteure. Nach dem Spiel gegen Wolfsburg etwa rüffelte der Coach den eingewechselten Offensivspieler Jesper Lindström sehr vernehmlich. Da scheint insgesamt einiges kaputt gegangen zu sein in den vergangenen Wochen. Auch eine Eskalation der Situation ist nicht ausgeschlossen - sollte sportlich nicht der Turnaround gelingen.
Früh, sehr früh schon in der Saison, so sagte Glasner schon vor dem Wolfsburg-Spiel, habe er Themen zu bearbeiten, »die man sich als Trainer nicht wünscht«: Fünf verletzte Defensive, fehlende Alternativen, so dass der Coach gezwungen ist, Löcher zu stopfen. Das gelingt nicht immer. Und eine schlüssige Idee, wie eine tief stehende Mannschaft zu bespielen ist, hat er auch noch nicht gefunden. Ein Problem, das nicht neu ist, das aber in dieser Saison behoben werden sollte. Auch deshalb kam etwa Mario Götze nach Frankfurt.
Trapp patzt folgenschwer
Gegen Wolfsburg war es sicher keine gute Idee, Randal Kolo Muani auf den Flügel zu beordern. VfL-Trainer Niko Kovac hatte mit Kolo Muani in der Spitze gerechnet und großen Respekt vor dem unbequemen Franzosen. So verpuffte seine Wucht auf den Außen, vorne mühte sich Rafael Borré mal wieder vergebens. Und ob die Viererkette der Weisheit letzter Schluss ist, obwohl das Personal dafür fehlt, sei auch mal dahingestellt.
Die Partie gegen Wolfsburg war bislang der Tiefpunkt in dieser Saison. Eine einzige ernsthafte Torchance hatte sich den Frankfurtern geboten, ein Weitschuss von Kristijan Jakic (39.), der krachend am Innenpfosten landete, sonst gab es nichts Zwingendes. Die »Wölfe« mussten nichts Außergewöhnliches leisten, um den ersten Saisonsieg zu landen. Dass dann ausgerechnet noch die verlässlichste Stütze patzte, passt ins schiefe Bild: Torwart Kevin Trapp verschätzte sich bei einer Ecke folgenschwer, Maxence Lacroix köpfte den Ball ins Tor (60.), erneut kassierten die Hessen nach einem Standard ein Gegentor. Ein Aufbäumen gab’s danach nicht.
Der Druck im Frankfurter Kessel nimmt zu, gerade auch für Glasner, der tunlichst in die Erfolgsspur zurückfinden sollte. Einfach ist das nicht: Olympique Marseille, am Dienstag (21 Uhr/DAZN) Gastgeber der SGE in der Champions League, ist ein anderes Kaliber als Wolfsburg. Danach reist die Eintracht nach Stuttgart. Bisher ist dem VfB in sechs Spielen kein Sieg gelungen. Kein Zweifel: Es liegt eine Woche der Wahrheit vor Eintracht Frankfurt.

