Grandios und verrückt

Nick Kyrgios hat mit einem beeindruckenden Sieg den Weltranglistenersten Daniil Medwedew entthront und seinen Hut bei den US Open in den Ring geworfen. Das Tennis-Ass schlägt danach auch nachdenkliche Töne an.
Nick Kyrgios senkte den Kopf und rückte seine Boston-Celtics-Kappe hin und her. Der 27 Jahre alte Bad Boy der Tennisszene hatte gerade mit einem grandiosen und teilweise verrückten Auftritt den Weltranglistenersten und Titelverteidiger Daniil Medwedew bei den US Open entthront. Ein großer Sieg für den Wimbledon-Finalisten - doch Kyrgios’ Gedanken kreisten auch um die schweren Phasen seiner Laufbahn.
»Ich hatte in den ersten sechs, sieben Jahren meiner Karriere mental sehr zu kämpfen«, sagte Kyrgios: »Ich hatte großartige Ergebnisse, schockierende Ergebnisse, habe mich wirklich angestrengt und bin dann abgestürzt.« Der richtige Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen sei ihm nicht gelungen: »Es war ungesund.«
Kyrgios hat die Phase überstanden und steckt aktuell so voller Motivation wie wohl noch nie zuvor. Mit dem 7:6 (13:11), 3:6, 6:3, 6:2-Viertelfinaleinzug in 2:53 Stunden gegen Medwedew warf der Wimbledonfinalist endgültig seinen Hut in den Ring. Sein nächster Gegner ist am Dienstag der an Nummer 27 gesetzte Russe Karen Chatschanow.
»Ich habe nicht übermäßig gefeiert. Es ist nur die vierte Runde gewesen«, sagte Kyrgios, gleichzeitig sei er aber enorm stolz auf seine Leistung. Aufschlag, Return, Variantenreichtum - alles Extraklasse vor einem Publikum, das dem manchmal verrückten Australier zujubelte. Und auch Medwedew, der seine Führung in der Weltrangliste mit der Niederlage verlieren wird, zollte Kyrgios großen Respekt. »Das war wirklich ein hochklassiges Match von ihm. Wenn er bis zum Ende des Turniers so spielt, hat er alle Chancen, das Turnier zu gewinnen«, sagte Medwedew und sah Kyrgios auf einem Level mit Roger Federer oder Rafael Nadal: »Aber er wird harte Gegner bekommen, also ist es nicht sicher.«
Pütz scheidet aus
Kyrgios wäre aber nicht Kyrgios, wenn er sich während des Matches nicht auch die eine oder andere Kapriole geleistet hätte. Anfang des dritten Satzes lief er ums Netz herum auf Medwedews Seite und spielte einen Ball des Russen, der nicht mehr im Feld gelandet wäre, noch einmal. Damit vertändelte er einen möglichen Breakball, doch Kyrgios sicherte sich den Satz auch so.
»Ich dachte, das wäre erlaubt«, sagte er später schmunzelnd: »Jetzt wird es überall im Internet zu sehen sein, und ich werde wie ein Idiot dastehen.« Nicht nach dieser Performance, die Kyrgios dem New Yorker Publikum zeigte.
Doppel-Experte Tim Pütz hat unterdessen das Viertelfinale verpasst. Der 34-jährige Frankfurter unterlag an der Seite des Neuseeländers Michael Venus in der Runde der letzten 16 mit 7:6 (7:2), 4:6, 3:6 Juan Sebastian Cabal/Robert Farah aus Kolumbien. Pütz war der letzte verbliebene Deutsche im Wettbewerb. Die zweimaligen French-Open-Sieger Kevin Krawietz/Andreas Mies waren in der zweiten Runde gescheitert.
Am späten Abend kämpfte die Dortmunder Jule Niemeier noch gegen die Weltranglistenerste Iga Swiatek aus Polen um den Einzug ins Viertelfinale - letztlich vergebens. Sie verlor nach starkem Beginn am Ende klar mit 6:2, 4:6 und 0:6.