Für mehr Respekt und Akzeptanz

Ohne Unparteiische läuft nichts. Das wissen Julia Boike und Sebastian Kipper. Die Mitglieder der Schiedsrichtervereinigung Büdingen werben für ihr Hobby und fordern gleichzeitig mehr Respekt.
Boike und Kipper sind Fußball-Schiedsrichter aus Leidenschaft - obwohl sie nicht ganz freiwillig zu ihrem geliebten Hobby kamen. »Mich meldete Claus Pfeffer von den Sportfreunden Oberau, für die ich früher aktiv kickte, ohne mein Wissen an. Vor dem ersten Termin hatte ich selbst noch ein Pokalmatch, bin dann im Trikot zum Neulingslehrgang gefahren«, erinnert sich Boike. Heute kann die Altenstädterin sagen, dass sie 2011 von Pfeffer quasi zu ihrem Glück gezwungen wurde. »Die sofort entfachte Leidenschaft ist heute noch zu hundert Prozent vorhanden«, sagt die für den VfR Hainchen pfeifende 27-Jährige.
Sebastian Kipper meldete sich 2012 für einen Neulingslehrgang an, »weil unser Verein Schiedsrichter brauchte«. Sein neues Hobby machte sofort Spaß. Deshalb ist der heute 28-Jährige immer noch »zu hundert Prozent dabei« und pfeift regelmäßig für den SV Seemental.
Was Boike besonders fasziniert: »Als Spieler ist bei überschaubarem Talent irgendwann Schluss. Schiedsrichter können mit Fleiß und der richtigen Einstellung relativ schnell aufsteigen und Erfolge feiern. Wir haben viele Vorbilder in unserer kleinen Vereinigung, die ihren Weg gegangen sind.« Die Projektmanagerin in einem Gesundheitsunternehmen weiß, wovon sie spricht. Aktuell leitet sie Partien der 2. Frauen-Bundesliga, bei den Männern pfeift sie bis zur Hessenliga und assistiert in der Regionalliga. In der Rückrunde kommen außerdem Schnupperpartien in der 1. Frauen-Bundesliga dazu.
Der einzige Wermutstropfen: Die ehemalige Akteurin der Sportfreunde Oberau und des SV Phönix Düdelsheim musste ihre aktive Karriere beenden. »Es käme einfach nicht gut, wenn ich eine Spielleitung auf DFB-Ebene wegen einer beim Kicken zugezogenen Verletzung absagen müsste.«
Kipper tritt ebenfalls nicht mehr gegen den Ball. Er hörte im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen bei der Spvgg. Hartmannshain/Herchenhain/Burkhards auf. »Davor genoss das Fußballspielen ganz klar Priorität«, sagt der bis zur Kreisoberliga pfeifende und in der Gruppenliga assistierende Chemikant.
Ein Aufstieg auf der Schiedsrichter-Karriereleiter kam und kommt für ihn nicht infrage. »Ab der Gruppenliga wäre mir der zeitliche Aufwand mit weiten Fahrten und anderen Dingen zu groß. Das Hobby darf nicht zum Stress werden. Dann geht schnell der Spaß verloren.«
Neben dem Spaß stehe das Gemeinschaftsgefühl im Mittelpunkt. »Du kannst etwas zurückgeben, hältst das Vereinsleben im Fußballkreis aufrecht«, erläutert Kipper, der zudem von einer sensationellen Persönlichkeitsentwicklung spricht. » Du lernst mit Kritik umzugehen, arbeitest an deiner Kommunikation und dem eigenen Selbstbewusstsein. Das ist die beste Lebensschule.«
Ein weiterer Pluspunkt: Jeder Unparteiische könne selbst entscheiden, welche Partien er leiten wolle. »Das trifft den gesellschaftlichen Zeitgeist der zunehmenden Individualisierung. Zudem muss sich keiner zwischen seiner aktiven Karriere und dem Pfeifen entscheiden. Man kann sonntags kicken und an den anderen Tagen Schiedsrichter sein«, betont der 28-Jährige.
»Freier Eintritt für Bundesliga-Partien und der Lohn, für seine Anstrengungen relativ schnell attraktive Spiele in höheren Klassen oder der Junioren-Bundesliga pfeifen zu können, sind weitere Anreize«, weiß Boike.
Trotzdem sind die Schiedsrichterzahlen rückläufig. Fehlende Unparteiische bei Spielen in den jüngeren Nachwuchsjahrgängen und Reservemannschaften sind keine Seltenheit.
»Dieses Problem geht uns alle an. Vorstände, Spieler, Zuschauer. Wir sind eine Fußball-Familie und müssen zusammenhalten«, mahnt Boike und legt nach: »Ich hoffe nicht, dass wir erst wach werden, wenn das erste Match in der Kreisliga A nicht mehr besetzt werden kann. Obwohl: So weit sind wir davon nicht mehr entfernt.«
Die Gründe für den Personalmangel sind vielschichtig. Vor allem das Miteinander auf und neben dem Platz habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. »Ein 14-jähriger Einsteiger lässt sich vielleicht dreimal von einem Spieler-Vater während einer Jugendspiel-Leitung runtermachen. Eine vierte Partie wird er vermutlich nicht mehr pfeifen«, beklagt Kipper mangelnden Respekt. Auch er habe sich anfangs blöde Sprüche anhören müssen. Gerade wenn er »als junger Kerl« B-Team-Begegnungen pfiff und ihm Fußballer mit gefühlt 50 Jahren Erfahrung gegenüberstanden. »Die wollten sich nichts mehr erzählen lassen.« Mit der Zeit erarbeitete er sich Akzeptanz und Respekt. »Dennoch bleibt das Image haften, dass Schiedsrichter an allem schuld sind. Wenn wir drei Fehlentscheidungen treffen, sind wir die Dummen. Wenn einer 200 Fehlpässe spielt, interessiert das nach dem Spiel keinen mehr. Im Anschluss trinken alle zusammen Bier. Egal, wie schlecht sie gespielt oder ob sie sich gegenseitig die Knochen kaputt getreten haben. Nur die Schiedsrichter sind die Bösen«, kritisiert Kipper. Dabei sollte es ein Miteinander statt ein Gegeneinander geben. »Auch wir sind ein Teil der Fußball-Familie«, betont Boike. Jeder Zuschauer, Betreuer und Spieler müsse sich fragen, ob er auch so mit Freunden oder der eigenen Familie umgehen würde.
Vereine könnten für ein besserer Miteinander sorgen, indem sie beispielsweise pöbelnde Zuschauer vom Sportgelände schicken. »Keiner hat mit dem Erwerb einer Eintrittskarte das Recht gekauft, den Schiedsrichter zu beleidigen«, stellt Kipper klar. Auch aggressive Betreuer und Spieler müssten von Vereinsseite eingefangen und zur Vernunft gebracht werden. »Wir wissen, dass wir Fehler machen. Darüber können wir auch gerne in Ruhe nach dem Spiel reden. Aber Beleidigungen auf dem Platz gehen gar nicht. Schließlich wollen nicht nur die Spieler, dass ihnen ihr Hobby Spaß bereitet«, so Kipper. Der Ober-Seemener musste bereits zwei Spiele abbrechen. Einmal wurde er umgestoßen, das andere Mal bedroht. »Natürlich gehören Emotionen dazu. Aber der Ton macht die Musik. Und Handgreiflichkeiten gehen gar nicht«, hofft Kipper, dass ein dritter Spielabbruch ausbleibt.
Akzeptanz sei ebenfalls ein großes Thema. »Wenn ein älterer Schiedsrichter kommt, wird schon im Vorfeld über seinen vermeintlich kleinen Bewegungsradius gelästert. Stattdessen sollte man Menschen wie Gerhard Schröder, Werner Hinterseher, Hans-Jürgen Gerlach und Karl-Ludwig Schneider den roten Teppich ausrollen. Würden sie nicht pfeifen, könnten noch weniger Spiele mit einem Unparteiischen besetzt werden«, betont Boike. Deshalb richtet sie einen Appel an die Vereine im Fußballkreis Büdingen und die Klubs aus den Nachbarkreisen: »Ohne Spieler geht nichts. Ohne Schiedsrichter geht aber auch nichts. Deshalb wäre ein wenig mehr Wertschätzung toll. Wir freuen uns schon über eine Flasche Wasser, eine Banane, einen Riegel oder die Bratwurst danach.«
Boike sieht in den höheren Spielklassen, wie gut es funktionieren kann. »Wir erwarten kein Buffet in unserer Kabine. Aber das Pausenwasser wollen wir auch nicht unbedingt aus der eigenen Tasche zahlen.« Genauso wenig die Klamotten. Schließlich bekomme ein Spieler auch sein Trikot vom Verein gestellt. »Eine ausgekehrte Kabine und ein nicht überquellender Mülleimer wären ebenfalls toll«, sagt Kipper, der sich einen Ansprechpartner an den Spieltagen wünscht. »Wie oft musste ich schon ein Loch im Netz flicken, aber keiner im Verein wusste, wo der Kabelbinder liegt.« Würden die Vereine etwas mehr Routine in ihren sonntäglichen Ablauf mit den Unparteiischen bringen, wäre es sicherlich für alle einfacher. »Vielleicht sollten wir mal unsere Probleme bei einer Vorrundenbesprechung im Fußballkreis Büdingen ansprechen«, schlägt Boike vor. Aber auch der Fußball-Verband sei gefordert, müsse bessere Rahmenbedingungen schaffen.
Der Ober-Seemener sieht mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Problem: »Ähnlich wie Sanitäter und Polizisten wollen wir nur unseren Job machen und in unserem Bereich für Ordnung sorgen, werden aber manchmal nicht mit dem nötigen Respekt behandelt.«
Aber was sind Schiedsrichter? Schlichter, Regelhüter, Vermittler oder Kontrolleure? Boike sieht sich als Spielleiterin. »Ich bin dafür verantwortlich, dass Regeln eingehalten werden.« Kipper sieht es ähnlich. Er betont, »dass man niemals den Gedanken haben sollte, Macht über den Spielausgang zu haben«. Er habe es sich auch abgewöhnt, vor einem Match auf die Fairnesstabelle zu schauen. »Vielleicht macht es im Unterbewusstsein doch etwas mit dir und du ziehst bei einem auf dem Papier unfairen Klub schneller die gelbe Karte.« In diesem Zusammenhang haben beide einen Tipp für Neulinge: »Fehler passieren. Diese sollte man aber ganz schnell abhaken und keine Konzessionsentscheidungen treffen.« Unparteiische sollten zudem authentisch rüberkommen und auf keinen Fall arrogant auftreten. »Dann kann ich das auch von meinem Gegenüber erwarten«, sagt Kipper.
Der 28-Jährige vermutet manchmal, »dass keiner weiß, was ein Schiedsrichter leistet«. Das sei nicht mit 90 Minuten auf dem Platz getan. »Wir besuchen regelmäßig Lehrabende und sind an einem Spieltag lange vor dem Anpfiff und nach dem Abpfiff im Einsatz. Bei einem Platzverweis kommen mit dem Ausfüllen des Sonderberichts zusätzlich mindestens 30 Minuten dazu.« Und das alles für 30 Euro Spesen auf Kreisebene (siehe Tabelle). »Unter dem Strich«, sagt Kipper, »kannst du mit diesem Hobby dein Taschengeld aufbessern. Reich wirst du aber nicht.« Das liege unter anderem auch an der Kilometerpauschale. »Die hat sich in den letzten Jahren nicht verändert, obwohl Diesel von 90 Cent auf 1,80 Euro gestiegen ist.«
Vielmehr gehe es um den Spaß am Hobby, um die schnellen Aufstiegschancen und die Tatsache, dass jeder gefördert wird, der will. »Bei unserer Schiedsrichtervereinigung stimmt die Betreuung, Kreislehrwart Volker Höpp und Kollegen helfen in allen Lagen, begleiten die Neulinge zu ihren ersten Spielen im Juniorenbereich«, lobt Boike.
Anmeldungen für den nächsten Neulingslehrgang mit drei Präsenzterminen im März sind bis zum 27. Februar möglich (Infos bei Volker Höpp unter Telefon 06035-189191). »Wir brauchen Nachwuchs. Deshalb sollten Vereine, Spieler, Betreuer und Zuschauer alle Neulinge tatkräftig unterstützen. Wir sind eine Fußball-Familie«, stellt Boike noch einmal klar. Von Torben Frieborg FOTOS: IMAGO/ TFR
Hessens Unparteiische erhalten seit dieser Saison mehr Geld für die Leitung eines Fußballspiels. Zu den hier aufgeführten Pauschalen gibt es zusätzlich 30 Cent pro gefahrenen Kilometer.
Hessenliga: 75 statt 60 Euro.
Verbandsliga: 60 statt 50 Euro.
Gruppenliga: 40 statt 30 Euro.
Kreisoberliga: 35 statt 25 Euro.
Kreisligen, Freundschaftsspiele, Pokalspiele auf Kreisebene, Reserven, Frauenspiele: 30 statt 22 Euro.
A- und B-Junioren-Gruppenliga: 25 statt 15 Euro.
A- und B-Junioren-Kreisliga: 20 statt 14 Euro.
Alle übrigen Junioren- oder Juniorinnenspiele: 15 statt 12 Euro.
AH-Spiele bleiben unverändert bei 20 Euro.
Bei Sportfesten und Turnieren für Senioren, Frauen und AH-Mannschaften gibt es bei fünf Stunden Anwesenheit 30 Euro (früher 25). Für jede weitere Stunde 10 Euro extra (früher 7). Bei Jugendturnieren gibt es auf jeden Fall 20 Euro (früher 18) und 5 Euro für jede weitere Stunde (früher 4). (tfr)
