Ein weiter, aber wichtiger Weg

Die Gießen 46ers haben Antrag auf eine Lizenz für die Basketball-Bundesliga gestellt. Damit trägt man der Euphorie Rechnung, die das Zweitliga-Team in der ProA entfacht hat. Vor einer Rückkehr ins Oberhaus gilt es eine ganze Reihe an Baustellen zu beackern. Die Schlagrichtung aber ist richtig.
Damit hätte vor wenigen Wochen niemand gerechnet: Die Gießen 46ers spielen in der zweiten Basketball-Liga um das Heimrecht in den Playoffs. Die Qualifikation für den BBL-Pokal nächstes Jahr ist bereits erreicht. Und seit Montag steht fest: Der Verein hat auch einen Lizenzantrag für die BBL gestellt, der seitens der Bundesliga bis Ende April geprüft wird.
Obwohl sich der Verein in der zweiten Liga pudelwohl fühlt, ist das das einzig richtige Zeichen. Beispiele wie Jena und Leverkusen in der ProA zeigen, wie schnell das Pendel in die entgegengesetzte Richtung umschlagen kann. Beide Clubs liebäugelten mit dem Aufstieg, spielten dann aber gegen den Abstieg. Der Rekordmeister vom Bayer-Kreuz muss nun auch in die 3. Liga. Da ist es richtig, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, wenn sie sich bietet. Das Team von Trainer »Frenki« Ignjatovic hat die Basketball-Euphorie nach Gießen zurückgebracht. Wer die Mannschaft in den letzten Wochen beobachtet hat, kann sich gut vorstellen, dass mit diesem Spirit auch der Aufstieg drin sein könnte. Aber: Das ist ein aus mehreren Gründen sehr weiter Weg.
Die sportlichen Hürden: Um aufzusteigen, muss man bis ins ProA-Finale einziehen. Dafür müssten die Gießen 46ers im Viertelfinale voraussichtlich die Artland Dragons oder Dresden schlagen. Trotz aller Verletzungssorgen ist das zwar möglich, aber auch mit Heimrecht längst nicht garantiert. Im Halbfinale würde dann aber der ProA-Ligaprimus Rasta Vechta warten.
Enosch Wolf wäre nicht spielberechtigt. Der Center war im Saisonverlauf aus Vechta nachverpflichtet worden. Eine Klausel verbietet es dem 32-Jährigen, gegen seinen Ex-Club aufzulaufen. Gut gepokert von Rasta, allerdings wären die 46ers auch mit voller und gesunder Kapelle gegen die Niedersachsen krasser Außenseiter.
Die Spielstätte: Beim ersten BBL-Abstieg 2013 war die Osthalle noch eine der besseren Adressen in der ProA. Zehn Jahre später ist sie selbst für Zweitligaverhältnisse nur Mittelmaß. Als BBL-Spielstätte hat sie eigentlich ausgedient. Der Stadt Gießen ist die Problematik bewusst. Dennoch ist ein in dieser Saison erneut aufs Tableau gebrachter Neu- oder Ausbau politisch und wirtschaftlich derzeit nicht möglich. Das ist bitter, mit der 2005 in Wetzlar errichteten Arena aber mittelhessische Sportrealität. Die Übertragungsrechte liegen ab der nächsten Saison bei einem neuen Streaminganbieter, der die Qualität weiter hochschrauben will. Baufällig sind in der Osthalle aber nicht nur Dinge wie die Lichtverhältnisse. Wer regelmäßig zu Gast ist in der Traditionsstätte, weiß darum.
Ein Aufstieg in die Basketball-Bundesliga wäre daher mit extrem hohen Auflagen verbunden, so die Liga dem Lizenzantrag überhaupt zustimmt. Die Diskussion um einen Umzug nach Wetzlar könnte neue Fahrt aufnehmen. Es sei denn, ein Aufstieg würde endlich Bewegung in die Frage nach einem Neu- oder Ausbau bringen.
Die Mannschaft: Woran es den 46ers in den letzten BBL-Jahren fehlte, waren echte Typen. Spieler, die für den Standort brennen und sich auf dem Feld zerreißen. Ignjatovic hat in der ProA eine Truppe zusammengestellt, die genau das endlich wieder verkörpert. Schaut man rein auf die individuelle Qualität, ist Gießen kein Topvier-Team der Liga. Der immense Einsatzgeist aber hat die Euphorie überhaupt erst neu befeuert.
Daher war es richtig, das Team mit dem Lizenzantrag für diese Leistungen zu belohnen. So bleibt auch die Motivation aufrecht, als Underdog weiter die Liga aufzumischen. Was aber klar sein muss, ist, dass diese Mannschaft in der BBL maximal drei Spiele gewinnen würde. Wären die 46ers wieder auf eine Zockertruppe angewiesen wie in den Vorjahren? Schwer zu sagen. Zu bedenken ist aber auch, dass sich selbst mit der diesjährigen Zaubertruppe die Zuschauerzahlen erst bei 2200 eingespielt haben. Um die Euphorie nicht verpuffen zu lassen, müsste also alles stimmen. Nur dann würde man in der BBL wie früher vor drei- bis viertausend Fans spielen. Auch finanziell wäre das Wagnis Basketball-Bundesliga wohl nur dann zu stemmen.
Fazit: Der eingeschlagene Pfad ist der einzig richtige. Er öffnet vielleicht Türen, die sonst verschlossen geblieben wären. Und: Der »Tübinger Weg« wird damit wahrscheinlicher, den Ignjatovic mehrfach als einzigartig in der ProA beschrieb. Die Tigers verzichteten im Vorjahr auf den Aufstieg, den man sportlich realisiert hatte. Stattdessen hielt man fast den gesamten Kader zusammen - und steht in dieser Spielzeit vor der BBL-Rückkehr. Eine zweite Spielzeit mit Typen wie Stefan Fundic, Nico Brauner oder Igor Cvorovic in der ProA? Das würde dem sportromantischen Gießener Publikum wohl kaum weniger gut schmecken als aussichtslose Partien gegen Bayern, Alba und Oldenburg.