Torschütze Reinhold Jessl blickt auf den Sieg von Eintracht Frankfurt im DFB-Pokal 1986 gegen den FSV Mainz 05 zurück
Im DFB-Pokal standen sich Eintracht Frankfurt und der FSV Mainz 05 bisher nur einmal gegenüber. Vor dem erneuten Aufeinandertreffen dieser Teams erinnert sich der Frankfurter Siegtorschütze Reinhold Jessl an die damalige Partie. Und er erklärt, warum er sich trotz dieses Treffers nicht bei der Eintracht durchgesetzt hat.
Von Heiko Weissinger
Sportredakteur
Blieb dem Fußball als Trainer erhalten: Reinhold Jessl betreut heute den Gruppenligisten VfB Oberndorf. Foto: Christina Weinfurtner
( Foto: Christina Weinfurtner)
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FRANKFURT/MAINZ - Nur 119 Minuten stand Reinhold Jessl in Pflichtspielen für Eintracht Frankfurt auf dem Platz. 79 in der Fußball-Bundesliga, 40 im DFB-Pokal der Saison 1986/87. Dennoch hat der 56-Jährige bleibenden Eindruck hinterlassen. Der Grund: Sein Tor in der 98. Minute zum 1:0-Endstand im DFB-Pokal-Zweitrundenspiel beim damaligen Oberligisten FSV Mainz 05 am 26. Oktober 1986 stellt bis heute den letzten Pflichtspielsieg der Eintracht bei den Nullfünfern dar. Wenn sich die Eintracht und Mainz am Mittwoch um 18.30 Uhr in der Commerzbank-Arena im Viertelfinale des DFB-Pokals erneut gegenüberstehen, sitzt Jessl auf der Tribüne – und wird wieder erzählen müssen, wie er vor über 31 Jahren getroffen hat.
„Ich werde häufig auf dieses Tor angesprochen“, sagt Jessl, der in Freigericht wohnt und den Gruppenligisten VfB Oberndorf trainiert. „Trainer Dietrich Weise hat mich in der 80. Minute eingewechselt und gesagt: Geh rein und mach das Tor!“, erinnert sich Jessl an die bisher einzige Pokalpartie zwischen den Rhein-Main-Rivalen vor 16 000 Zuschauern im Bruchwegstadion. „Eine Ecke dann kam halbhoch in den Straufraum, ein Abwehrspieler hat 05-Torwart Moppes Petz irritiert. Der Ball kam zu mir, ich hab ihn mit dem Oberschenkel angenommen und aus drei Metern versenkt.“
Tore schießen – das war stets Jessls Aufgabe, und er hat sie meist glänzend gelöst. Nach den Anfängen beim Heimatverein SV Lettgenbrunn wechselte er mit 19 von der B-Klasse in die Landesliga zum FSV Bad Orb und schoss nach Anlaufschwierigkeiten in der ersten Saison in den vier Spielzeiten danach 19, 22, 28 und 36 Tore.
Blieb dem Fußball als Trainer erhalten: Reinhold Jessl betreut heute den Gruppenligisten VfB Oberndorf. Foto: Christina Weinfurtner Foto: Christina Weinfurtner
Nur eine Saison im Eintracht-Trikot: Reinhold Jessl. Foto: imago Foto: imago
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Eintracht-Vizepräsident Klaus Mank wurde bei einem Torwandschießen auf den Stürmer aufmerksam, als dieser von sechs Bällen fünf ins Ziel schoss. „Als ich dann ein Angebot von Nürnberg bekam, hat die Eintracht mir schnell einen Zweijahresvertrag gegeben.“ Ablöse: 39 000 Mark, davon gingen 11 000 an Lettgenbrunn. Sturm-Konkurrent Włodzimierz Smolarek kostete die Eintracht eine hohe sechsstellige Summe.
„Der Beste ist der Billig-Bomber“, titel deshalb eine Boulevard-Zeitung, als Jessl in der Vorbereitung auf die Saison 1986/87 in acht Testspielen 26 Tore erzielte – deutlich mehr als die Konkurrenz. Der 1,88-Meter-Mann, der bis dato zweimal in der Woche trainiert hatte und plötzlich zweimal am Tag auf dem Platz stand, kniete sich rein, reduzierte in wenigen Wochen sein Gewicht von 86 auf 81 Kilogramm.
JESSLS TIPP: 2:1 FÜR DIE EINTRACHT
„Die Eintracht hat gute Chancen, gegen Mainz 05 das Pokal-Halbfinale zu erreichen.“ Für Reinhold Jessl, Frankfurter Siegtorschütze beim bisher einzigen Aufeinandertreffen im DFB-Pokal zwischen den Rhein-Main-Klubs im Oktober 1986, sind die Gastgeber nicht nur aufgrund des Heimvorteils am Mittwoch ab 18.30 Uhr Favorit im Viertelfinal-Duell. „Unter Trainer Niko Kovac ist eine Aufwärtsentwicklung zu beobachten, auch spielerisch. Da sieht man Spielzüge, die man seit Jahren nicht mehr gesehen hat.“
Den FSV Mainz 05 schätzt Jessl nicht so stark ein. „Die müssen aufpassen, dass sie nicht absteigen. Sie verlieren immer wieder gute Spieler und wirken derzeit nicht stabil.“ Dass sich die Nullfünfer trotz des Klassenerhalts im Sommer 2017 von Coach Martin Schmidt getrennt haben, kann er nicht nachvollziehen: „Der hat ehrliche Arbeit abgeliefert.“ Jessls Tipp: Die Eintracht gewinnt 2:1. „Allerdings erwarte ich kein gutes Spiel, kein Spektakel. Dafür spielt die Eintracht unter Kovac zu defensiv.“
„Der Bulle von der Bundespost“, wie eine Zeitung Jessl nannte, hatte seinen Job bei dem Staatsunternehmen und seinen Beamtenstatus aufgegeben, traute sich den Sprung von der vierten in die erste Liga zu. Doch Trainer Dietrich Weise verließ am Abend vor dem ersten Bundesligaspiel gegen Düsseldorf der Mut: Statt Jessl, der bis dahin nie vor mehr als 400 Zuschauern gespielt hatte, stellte er David Mitchell und Włodzimierz Smolarek auf, und nach dem 5:0-Sieg der Eintracht waren die Stürmer erst einmal gesetzt. Da nutzte es auch nichts, dass Jessl am fünften Spieltag gegen Kaiserslautern vier Minuten nach seiner Einwechslung in der 67. Minute den Treffer zum 2:2-Endstand erzielte. „Eine richtige Chance bekam ich nie“, sagt Jessl.
Nachdem Weise zur Rückrunde von Co-Trainer Timo Zahnleiter abgelöst worden war, wurde es nicht besser, im Gegenteil: „Zahnleiter hat im Abstiegskampf nur auf Erfahrung gesetzt.“ Die Folge: Der damals 25-Jährige löste seinen Vertrag zum Saisonende auf und kehrte zur Post zurück. „Ich habe keine Perspektive gesehen und mich für ein normales Berufsleben entschieden, zumal ich meinen Beamtenstatus wiederbekam und meine Frau auch schwanger war.“
Danach spielte Jessl, der noch immer bei der Telekom im Vertrieb arbeitet, einige Jahre in der damals drittklassigen Oberliga – bei der Spvgg. Bad Homburg, wo er auf Anhieb mit 28 Treffern Liga-Torschützenkönig wurde, beim FSV Frankfurt und bei Bayern Alzenau. Hätte Jessl, der mit vielen Eintracht-Mitspielern wie Andy Möller, Charly Körbel und Manni Binz noch in Kontakt steht, seinen Zweijahresvertrag erfüllt, wäre er mit der Eintracht 1988 Pokalsieger geworden. „Zumindest hätte ich beim 1:0 im Finale gegen Bochum auf der Tribüne gesessen und danach auf dem Balkon des Römer gestanden.“ Ob er es bereut hat, nicht weiter auf den Profifußball zu setzen? Immerhin gab es einige Angebote aus der Zweiten Liga. „Manchmal denke ich, ich hätte mehr riskieren müssen. Ich hatte einen Torinstinkt, der selten ist. Aber ich bin mit mir im Reinen.“
Immerhin wirkte Jessl nach seiner Karriere erfolgreich als Trainer im Amateurfußball, unter anderem bei den Oberligisten TSG Wörsdorf und SV Bernbach. „Es muss ja auch an der Basis gute Arbeit geleistet werden“, sagt Jessl. Und: „Das Pokaltor gegen Mainz nimmt mir keiner mehr, das macht mich auch ein Stück weit stolz.“