Auf dem Goddess Stream, einem Nebenarm des Jangtse, fahren nur kleine Boote durch die engen Schluchten. Foto: Martina Katz
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Lautlos gleitet die „Century Paragon“ über den jadefarbenen Jangtse. Ein Elektromotor treibt sie an. In Chongqing, einer gigantischen Metropole mit knapp zehn Millionen Einwohnern, ist das Fünf-Sterne-Kreuzfahrtschiff gestartet. Nun durchquert es die Bergwelt im Hinterland. Weiden, Zypressen und Kiefern wachsen hier und bedecken die Hänge wie grüne Teppiche. Aus dem Morgennebel am Flussufer ragen alte Grabmale. Häuser mit schwarzen Schindeldächern kommen in Sicht, außerdem ein Terrassenfeld, auf dem Sesam und Süßkartoffeln gedeihen. Ein Bauer, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen, treibt sein Rind und den Pflug vor sich her. Er blickt kurz auf das Kreuzfahrtschiff und setzt dann die Feldarbeit fort. Es gleitet ja öfter eins vorüber. Für die Passagiere hingegen gibt es viel zu sehen. „Seit dem Bau des Drei-Schluchten-Staudamms denken Ausländer, eine Jangtse-Kreuzfahrt sei nicht mehr so spektakulär, aber das stimmt nicht“, sagt Schiffsmanager Jack Xiong in perfektem Englisch.
Der Jangtse ist der längste Fluss Chinas und der drittlängste der Erde – nach Amazonas und Nil. Er misst gut 6 300 Kilometer, entspringt im Qinghai-Tibet-Plateau und mündet bei Schanghai in das Ostchinesische Meer. Der mächtige Transportweg bekam, seit Errichtung des gewaltigen Damms im Jahre 2003, auf der Hauptstrecke der Jangtse-Kreuzfahrten zwischen Chongqing und Yichang ein neues Gesicht: Manche der atemberaubenden Talengen waren bislang nicht schiffbar. Ein Dutzend kleine Inseln liegt in dem entstandenen 600 Kilometer langen Stausee, der wie ein italienischer Lago anmutet.
Auf einer dieser Inseln befindet sich die Geisterstadt Fengdu, der erste Stopp dieser viertägigen Kreuzfahrt. Bilder von menschenfressenden Monstern und große Skulpturen von Teufeln und Dämonen, manche 2000 Jahre alt, mahnen in der Halle des Höllenkönigs oben auf dem Ming-Berg. Früher pilgerten Einheimische aus ganz Sichuan zu den kunterbunten Tempeln des Taoismus, Buddhismus und Konfuzianismus, um für die Seelen ihrer Ahnen zu beten. Heute kommen nur noch die Alten. Und die Kreuzfahrttouristen. „Der Ort ist unter Wasser begraben, aber seine berühmte Totenstätte blieb verschont“, erklärt Xiong und steigt rasch die 33 Stufen zum Tempel des Jadekaisers, dem Himmelsherrscher, empor.
INFORMATIONEN
Anreise: Zum Beispiel mit Finnair über Helsinki nach Chongqing, dem Startpunkt der Jangtse-Kreuzfahrt, ab 492 Euro. Am Ende der Kreuzfahrt geht es mit dem Zug zurück nach Chongqing (ab 22 Euro, 4,5 Stunden).
Übernachten: Das Hongyadong-Hotel im gleichnamigen Shoppingkomplex hat DZ ab 89 Euro mit Blick auf den Jialing-Fluss, www.hongyadong-hotel.com. The Westin Chongqing Liberation Square, DZ ab 120 Euro, www.starwoodhotels.com.
Veranstalter: China Tours hat die Jangtse-Kreuzfahrt im Rahmen einer 15-tägigen China-Rundreise ab / bis Frankfurt im Programm, ab 2 249 Euro, www.chinatours.de. Bei Gebeco ist sie Teil einer 14-tägigen Erlebnisreise, ab 1 499 Euro, www.gebeco.de. Tischler Reisen bietet die vierttägige Fahrt auf der Century Paragon als englischsprachige Gruppentour ab Chongqing bis Yichang an, ab 587 Euro / Person bei zwei Personen, www.tischler-reisen.de.
Infos: Fremdenverkehrsamt der Volksrepublik China, www.china-tourism.de.
Schon immer machte der Jangtse Ärger. Er überspülte Städte, flutete ganze Gebiete, gefährdete die Bootsleute. Noch bis vor 30 Jahren banden sich Treidler mit dicken Bambusseilen an den Schiffen fest und zogen sie nackt und in Strohsandalen im Rhythmus ihrer Gesänge durch die Stromschnellen. Zwar hatte sich der große Vorsitzende Mao Tse-tung bereits Mitte der 1950er-Jahre auf die Möglichkeit eines Dammbaus konzentriert und genaue Untersuchungen in der Region angeordnet, um den wilden Jangtse zu bändigen. Doch dann begann die Kulturrevolution. Der Plan der riesigen Talsperre wurde verworfen.
Als die Regierung den Staudammbau 1994 dann doch ausrief, war das eine Erlösung für die Schiffer und die Bewohner in den stets überfluteten Orten am Jangtse-Unterlauf – auch Xiongs Familie in Wuhan sah das so. Doch das Mammutprojekt, das in 13 Jahren Bauzeit offiziell 18 Milliarden Euro verschlang, verursachte einen Aufschrei in der ganzen Welt. Es veränderte die Landschaft in beispielloser Weise. Ein riesiges Wasserkraftwerk entstand, das die Strommenge von 15 Atommeilern erzeugt und das die Kreuzfahrer am letzten Morgen ihrer Tour zum Staunen bringt. Eine fünfstöckige Schiffsschleuse muss passiert werden, in der die Century Paragon eine Höhendifferenz von 110 Metern überwindet.
Geologen hinterfragten die Sicherheit bei einem Erdbeben und Ökologen wiesen auf Gefahren für die Tier- und Pflanzenwelt hin. Vor allem aber protestierten Menschenrechtler gegen Zwangsumsiedlungen im großen Stil. Mehr als eine Million Menschen, die in 19 Städten und rund 1000 Dörfern am Ufer lebten, mussten weichen.
Mit dem Fünfjahresplan 2016 bis 2020 hat Peking längst das nächste Ziel vor Augen: Chinas Vorzeigefluss, in dem zur Jahrtausendwende noch Plastikmüll und Tierkadaver trieben, soll ein Gewässer in Trinkwasseraufbereitungsqualität werden. Fast 10 000 Fabrikschließungen im Einzugsgebiet des Jangtse zeigen, dass man es ernst meint.
Die Shibaozhai Pagode, ein Glanzstück chinesischer Architektur und obligatorischer Nachmittagsstopp, wird heute durch eine Mauer geschützt. Ohne einen einzigen Nagel zusammengefügt, scheint die Pagode geradezu an der Felswand zu kleben. Wer die Treppen im Inneren des 56 Meter hohen Holzpavillons aus der Ming-Dynastie besteigt, sieht auch die neuen Häuser der Umsiedler: weiße Steinbauten mit schwarzen Schindeldächern, unten ein Laden, oben die Wohnräume. Nicht immer sind die Neustädte so geglückt wie diese.
Schon in der Tang-Dynastie im achten Jahrhundert schrieben berühmte Dichter wie Li Bai über die Schönheit der Drei-Schluchten-Region. Vor allem über die bezaubernde Qutang-Schlucht, die heute mit acht Kilometern Länge, 100 Metern Breite und bis zu 1000 Meter hohen Felswänden als spektakulärste der drei Talengen auf dem Zehn-Yuan-Schein prangt. Oder über die Wu-Schlucht, die nun auf 45 Kilometern bizarre grünliche Felsformationen präsentiert und zu einem Ausflug auf den Goddess Stream, einen Nebenfluss, lockt. Dazu können die Passagiere umsteigen in kleine rote Holzboote mit gelbem Pagodendach, die in versteckte Nebenschluchten gleiten.
Das Tor zu der prominenten Gegend ist die Stadt des weißen Kaisers auf dem Baidi Berg. Tempel und Inschriften auf Dutzenden alter Stein- und Bronzetafeln zeugen hier von der Liebe der Künstler zur Region. „Dies ist auch immer mein Sehnsuchtsort gewesen“, erzählt Liu Zhuo Zhong. Der Maler schuf über 18 Jahre ein 100 Meter breites und zwei Meter hohes Wandbild der Drei-Schluchten-Landschaft. Auch in Deutschland wurde es schon ausgestellt. Liu zeichnete einzelne Orte, ja sogar Häuser ein, zog eine Linie, die den heutigen Wasserstand markiert und zeigt so, was in den Fluten verschwand.
„Ich möchte kein Urteil darüber abgeben, ob der Staudamm gut oder schlecht ist. Ich möchte nur Tatsachen an spätere Generationen weitergeben“, erklärt der 75-Jährige vorsichtig. Sie machen beklommen. Der alte Mann hat auch ein Mahnmal geschaffen.