Die Giganten der Unterwelt: Riesige Kalksteine erinnern in der überdimensionalen Tropfsteinhöhle an gruselige Kreaturen. Foto: Win Schumacher
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Da steht er plötzlich, der Riesenaffe. Sein Silberrücken glänzt im Licht der Stirnlampe des Höhlen-Guides. Der Kopf des Ungetüms berührt fast die Decke der gewaltigen unterirdischen Kammer. Neben ihm wirken die Menschen wie winzige Termiten.
Tran Quangh Anh Vu lässt den Lichtkegel seines Helms über den riesigen Stalagmit in der Nuoc-Nut-Höhle wandern. Der kolossale Gorilla ist vor Jahrmillionen zu Stein erstarrt. Er ist nur einer von tausenden Tropfsteinskulpturen in der Unterwelt des Phong Nha-Ke-Bang-Nationalparks. Das wildgezackte, vom Dschungel überwucherte Karstgebirge ist Teil der Annamitischen Kordilleren an der zentralvietnamesischen Grenze zu Laos und von unzähligen unterirdischen Wasserläufen durchlöchert. Skull Island ist die üppig grüne, atemraubend zerklüftete Silhouette, die Heimat des Riesenaffen Kong im Blockbuster „Kong: Skull Island“.
„Der Film hat Phong Nha-Ke Bang in der Welt erst richtig bekannt gemacht“, sagt Vu. Der 28-Jährige ist gemeinsam mit zwei Trägern und einer kleinen Gruppe Touristen auf Höhlenexpedition. Maximal zehn Besucher sind auf den Erkundungstouren des einzigen Spezialveranstalters Oxalis zugelassen.
Die Giganten der Unterwelt: Riesige Kalksteine erinnern in der überdimensionalen Tropfsteinhöhle an gruselige Kreaturen. Foto: Win Schumacher Foto: Win Schumacher
Die Giganten der Unterwelt: Riesige Kalksteine erinnern in der überdimensionalen Tropfsteinhöhle an gruselige Kreaturen. Fotos: Win Schumacher Foto:
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Um in die zerklüftete Unterwelt des Kalksteinmassivs vorzudringen, müssen die Expeditionsteilnehmer durch rauschende Höhlenbäche waten, sich an Abgründen und glitschigen Felsvorsprüngen entlanghangeln und dürfen vor allem keine Platzangst haben.
„Wir haben uns hier in Nuoc Nut nur warm gelaufen“, sagt Vu, nachdem die Gruppe durch den von Schlingpflanzen gerahmten Eingang der Höhle zurück ins dunstige Licht der Abendsonne tritt. Über ihren Köpfen flattern Fledermäuse. Das richtige Ziel der Expedition ist Hang Va, eine Höhle, die erst 2012 entdeckt wurde und noch weiter oben in den Bergen liegt.
„Ihr gehört zu den ersten 1 500 Menschen, die sie betreten haben“, sagt Vu. Hang Va ist die zuletzt entdeckte, erst seit 2014 für Touristen zugängliche Höhle im Phong-Nha-Ke- Bang-Nationalpark. Sie ist durch unterirdische Wasserläufe mit der Son-Doong-Höhle verbunden, der größten bekannten Höhle der Welt. Davon gehen Forscher aus, die hier eine blinde Fischart entdeckten, die nirgendwo sonst vorkommt.
REISE-CHECK
Anreise: Z. B. mit Singapore Airlines über Singapur nach Dong Hoi. Von dem Regionalflughafen etwa eine Stunde mit dem Auto bis zum Eingang des Phong -Nha-Ke -Bang-Nationalparks. www.singaporeair.com.
Unerkünfte: Von der Frühstücksterrasse des „Saigon Phong Nha“ Hotels hat man einen schönen Blick über den Son-Fluss auf die Berge des Nationalparks, ab circa 40 Euro pro Person / Nacht, www.sgqbtourist.com/phongnha/; Das luxuriöse „The Anam Resort“ lockt an einen der schönsten Strände in Zentralvietnam, ab 140 Euro / Nacht, www.theanam.com.
Höhlenexpeditionen: Als einziger Spezialist bietet Oxalis verschiedene Höhlen-Expeditionen in Phong-Nha-Ke-Bang an, www.oxalis.com.vn.
Veranstalter: Tischler Reisen hat verschiedene Nationalparks in Vietnam im Programm und organisiert auch individuelle Höhlentouren in Phong-Nha-Ke-Bang, www.tischler-reisen.de.
Weitere Informationen: www.vietnamtourism.com.
„Wahre Monster gibt es hier nicht“, scherzt Vu, „aber noch immer werden hier neue Tierarten aufgespürt.“ Ganz wie in Kong: Skull Island ist eine abgeschiedene Welt. Zwar ist das Gebirge nicht wie im Film von Flugsauriern und Riesenbüffeln mit weit ausladenden Hirschgeweihen bevölkert. In Wahrheit sind die Annamitischen Kordilleren aber tatsächlich einer der letzten Rückzugsorte des Gaurs in Vietnam, des größten Wildrinds der Erde. Daneben sollen hier noch immer Kragen- und Malaienbären, sowie bis zu zehn verschiedene Affenarten vorkommen. 1992 sorgte die Entdeckung des vietnamesischen Waldrinds oder Saola für eine zoologische Sensation. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass alle Landsäugetiere dieser Größenordnung bereits wissenschaftlich beschrieben wurden.
Die Gruppe schlägt auf einer Lichtung etwas oberhalb des Höhleneingangs von Hang Va ihr Lager auf. Die Nacht ist voller geheimnisvoller Stimmen. Ins späte Konzert des Dschungels mischen sich kaum bestimmbare Laute unterlegt vom Zirpen der Zikaden, die eher wie heisere Motorsägen klingen. Ist es Vogelgeflüster, ein Ruf aus winzigen Froschkehlen oder doch nur das Glucksen eines entfernten Bergbachs, das durch den Urwald dringt?
Bei der zweiten Runde Reiswein nach dem Abendessen erzählt Vu von seinen Expeditionen in die Son Doong-Höhle: Von Stalagmiten so hoch wie Bürotürme und Höhlengängen, in die man einen Wolkenkratzer stellen und einen Jumbojet parken könnte. In der Tat ist die größte unterirdische Kammer Son Doongs über 200 Meter hoch und mehr als 100 Meter breit. Mit einer Gesamtlänge von neun Kilometern hat die erst 2009 von britischen Forschern erkundete Höhle damit wohl tatsächlich das größte unterirdische Volumen der Welt. An einer Stelle ist vor Jahrtausenden die Decke eingebrochen, sodass eine gewaltige Doline entstand, über die bald Baumriesen wucherten.
„Die Forscher haben sie Garden Edam genannt“, sagt Vu, „weil es schon so viele Orte auf der Welt mit dem Namen „Garten Eden“ gibt und das Gestein dort wie Schweizer Käse durchlöchert ist.“ Die Tierwelt des versunkenen Dschungelreichs ist kaum erforscht. „Manchmal kommen die Gibbons herunter und man sieht eine Schar Flughunde.“, sagt Vu. „Einmal als wir zwei Hühner als Proviant eingepfercht hatten, hörten wir bei Nacht ein unheimliches Geräusch wie von einem Hubschrauber. Am Morgen waren nur noch Geflügelknochen übrig. Erst später konnten wir den Übeltäter erwischen: Ein Nepaluhu hatte sich wohl über die Hühner hergemacht.“
Um Mitternacht bricht ein prasselnder Tropenregen über das Lager herein. Erst im Morgengrauen ist er verstummt. Aus der Ferne tönt ein sonderbares Rufen aus den Baumkronen durch die Zeltwände: Gibbons, die größten Primaten im Park haben wohl in aller Frühe die menschlichen Eindringlinge inspiziert.
Der Eingang von Hang Va ist ein enger Schlund zwischen mächtigen Felsblöcken. An Seilen lassen sich Vu und seine Gruppe ins Dunkel hinab. Unten stehen sie bis zur Hüfte in einem reißenden Höhlenstrom. Die Felswände sind in verschiedenen Farben marmoriert. „Gelb steht für Schwefel, Rot für Eisen, Grün für Kupfer und das glitzernde Weiß für Quarz“, erklärt Vu. Vorsichtig watet der Höhlenführer voran in die Dunkelheit. Im Licht seiner Stirnlampe entfaltet sich die fantastische Welt der Tropfsteine – triefende Bärte von längst im Kalkstein versunkenen Riesen, erstarrte Wasserfälle, Fabelwesen aus glänzendem Marmor neben den rauschenden Kaskaden des Höhlenstroms.
An einem Felsabhang hangeln sich die Expeditionsteilnehmer hinauf zu einem See, aus dem ein einsamer Stalagmit wie eine Zipfelmütze ragt. Dahinter reihen sich in von Kalksteinrändern getrennten Terrassen Wasserbecken aneinander. In den obersten Pools ragen in einer Kammer Hunderte gleichförmig gestreckte Tropfsteinkegel aus dem Wasser – eine Ansammlung längst erloschener Zwergenvulkane.
„Ich wünschte, wir könnten die Höhlen für immer so erhalten wie sie sind“, sagt Vu, als die Gruppe wieder draußen, zurück im Dschungelregen, steht. „Gerade erst hat die Regierung beschlossen, eine Seilbahn hinauf bis fast nach Son Doong zu bauen.“ Das Vorhaben könnte dafür sorgen, dass statt der 800 Besucher, die die Höhle im Moment pro Jahr besuchen dürfen, die gleiche Anzahl an einem einzigen Tag Zugang erhält. „Der Nationalparkleitung geht es nur um steigende Besucherzahlen.“
„Vielleicht kommt ihr ja irgendwann mit Euren Kindern zurück nach Hang Va“, sagt Vu seiner Gruppe zum Abschied. Hoffentlich gehören bis dahin die fantastischen Kreaturen der Unterwelt dort noch immer der absoluten Finsternis.