„Lebenszeit für Theaterdonner verschwendet“: Linke fühlt sich von Giffey „veräppelt“
Zwischen Rot-Grün-Rot in Berlin ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Die Linke sieht bei der Annäherung von CDU und SPD auch eigennützige Motive Giffeys.
Berlin – Die Zeichen in Berlin stehen auf Schwarz-Rot, doch die geplanten Koalitionsgespräche zwischen CDU und SPD sorgen bei Grünen und Linken für Irritationen – sie wurden kurzerhand ausgebootet. Die Berliner Landesvorsitzende der Linkspartei, Katina Schubert, warnt im Gespräch mit der FR vor Stillstand in der Hauptstadt und moniert die „babylonische Gefangenschaft“ der SPD. Berlins Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), schafft sich durch das geplante Bündnis mit den Christdemokraten viele Gegner – innerhalb und außerhalb der eigenen Partei.
Linke verärgert über Giffey: „Mehrere Tage Lebenszeit für Theaterdonner verschwendet“
Die Sondierungsgespräche zwischen Grünen, SPD und Linken in Berlin waren vielversprechend gelaufen, zumindest aus Sicht fast aller Beteiligten. Nun haben die Sozialdemokraten aber verkündet, lieber mit der CDU regieren zu wollen, bei den ehemaligen Koalitionspartnern ist man darüber ebenso verwundert wie verärgert. Linken-Landesvorsitzende Katina Schubert erklärt im Gespräch mit der FR: „Grundsätzlich bin ich bei Frau Giffey nicht überrascht, dass sie lieber mit einer CDU koaliert, als eine progressive Koalition anzuführen. Nur der Verlauf der Gespräche hat diese Entscheidung gar nicht hergegeben.“

Unterschiede zwischen den Parteien hatte auch sie bei den Sondierungen als überwindbar wahrgenommen. „Wir haben in vielen Punkten Brücken gefunden, über die man gemeinsam hätte gehen können, wenn man das gewollt hätte“, so Schubert. Nur: Die SPD will nicht. In der Linken wittert man ein abgekartetes Spiel. Schubert sagt, sie habe „mittlerweile den Eindruck, dass wir mehrere Tage Lebenszeit für Theaterdonner verschwendet haben und Frau Giffey das von vornherein nicht wollte“.
In Richtung der Sozialdemokraten betont die Landesvorsitzende eine Partei müsse „entscheiden, ob sie sich in die babylonische Gefangenschaft einer einzelnen Person begibt“. Der Ärger über die scheidende regierende Bürgermeisterin ist groß. Die Linken-Politikerin fasst die Stimmungslage in ihrer Partei zusammen: „Wir fühlen uns ehrlich gesagt veräppelt: Sie hätten von Anfang an sagen können, dass sie lieber mit der CDU koalieren wollen.“ Dieses Gefühl dürfte man bei den Grünen teilen – auch sie zeigten sich verwundert.
Berlin-Wahl 2023: „Die CDU hat allem zugestimmt, was Franziska Giffey von ihnen wollte“
Mit Blick auf eine mögliche schwarz-rote Koalition nach der Berlin-Wahl 2023 verbindet Schubert große Sorgen, sie sieht die Gefahr, „dass es eine Koalition des Stillstandes gibt, in der jeder Partner in eine andere Richtung zieht“. Über etwaige Zugeständnisse zwischen den Parteien sagt sie: „Wenn man dem Sondierungspapier der SPD Glauben schenken darf, hat die CDU – um an die Position des regierenden Bürgermeisters zu kommen – erstmal alles versprochen, was die SPD haben will.“ Wie weit das tragen würde, zeige sich im Vollzug.
Bei SPD-Spitzenpolitikerin Giffey vermutet Schubert eigennützige Motive: „Ich weiß nicht, was eine Franziska Giffey geritten hat, außer die eigene Ausgangsposition für 2026 zu optimieren.“ Von einer Koalition mit der CDU versprechen sich die Sozialdemokraten bessere Chancen für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus in drei Jahren – das zeigt laut Tagesspiegel auch ein interner Bericht der SPD-Sondierungskommission. In der Partei selbst droht indes Widerstand gegen das Bündnis mit der CDU. Es rumort bei den Sozialdemokraten.
„Es droht der gesellschaftliche Rückschritt von dem Bild einer vielfältigen und gemeinsam lebenden Stadt“
Bisher habe man in Berlin viel auf gleiche Rechte für alle und Teilhabe gesetzt, sagt Schubert. Das könnte sich ihrer Einschätzung nach nun ändern: „Wir wissen, dass sowohl die CDU als auch die SPD Bürgerinnenbeteiligung nur als Hemmschuh sehen. Wir befürchten, dass solche partizipativen Elemente zurückgedrängt werden und die Mitsprache der Zivilgesellschaft eher als Störung empfunden wird denn als Bereicherung.“
Massive Rückschritte befürchtet die Linke zudem in der Integrationspolitik: „Wir haben einen in der Form bundesweit einmaligen Abschiebestopp im Winter, den wird es wahrscheinlich auch nicht mehr geben, weil die CDU sich damit rühmen will, besonders viel abzuschieben.“ Schuberts Prognose: „Die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik werden massiv werden. Insofern droht uns ein gesellschaftlicher Rückschritt von dem Bild einer vielfältigen und gemeinsam lebenden Stadt.“
Neuwahl in Berlin und Franziska Giffey: „2021 spricht sie von einem Neustart, jetzt von einem Neuanfang“
Nach der Wahlschlappe der SPD in Berlin waren immer wieder Forderungen nach einem „Neuanfang“ laut geworden, auch aus den eigenen Reihen der Sozialdemokraten. Linken-Landesvorsitzende Schubert sieht dahingehende Äußerungen der Noch-Bürgermeisterin Giffey skeptisch: „2021 spricht sie von einem Neustart, jetzt von einem Neuanfang“, so Schubert, und weiter: „Ich halte das beides ehrlich gesagt für Unsinn.“
Die Linkenpolitikerin wird deutlich: „Natürlich haben wir als Koalition eine deutliche Klatsche gekriegt, unter anderem, weil die Wahl 2021 vergeigt worden ist. Aber eine Koalition, die 14 Monate gearbeitet hat, kann nicht die Ergebnisse vorweisen, die sie für eine Arbeitszeit von fünf Jahren vorgesehen hatte. Insofern ist es vermessen zu sagen, jetzt machen wir alles anders.“ Es stehen stürmische Zeiten an, in Berlin – besonders für die SPD. (ales)