Australiens neuer Premierminister Anthony Albanese: Noch nie war ein Politiker so beliebt in „Down Under“

Australien hat einen neuen Premierminister. In den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit musste er sich vor allem mit Altlasten beschäftigen – trotzdem hat er traumhafte Beliebtheitswerte.
Brisbane – Anthony Albaneses Amtsantritt im Mai begann im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Höhenflug: Noch vor der Auszählung aller Stimmen löste der Labor-Chef als 31. Premier den konservativen Amtsinhaber Scott Morrison ab und stieg in den Flieger nach Tokio zu seinem ersten Auftritt auf internationalem Parkett mit US-Präsident Joe Biden, Japans Regierungschef Fumio Kishida und dem indischen Staatschef Narendra Modi. Seine ersten Tage im Amt sollten Ton und Takt der ersten 100 Tage als Australiens Regierungschef vorgeben.
Jüngsten Umfrage zufolge hat Albanese in ersten drei Monaten Wort gehalten und einen Traumstart als Regierungschef hingelegt. Laut einer Zeitungsumfrage sind 61 Prozent der Australier zufrieden mit seiner Politik. Kein neuer Premierminister hat je eine so hohe Zufriedenheitsquote erreicht. Die „politischen Flitterwochen“, in denen die Wähler auf einen Wandel unter der neuen Regierung hoffen, liefen also gut für „Albo“, wie er von den zu Abkürzungen und Spitznamen neigenden Australiern genannt wird. Der Stimmenzuwachs sei aber mehr als das, schrieb Jim Reed, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Resolve, zu der Umfrage. „Es handelt sich um eine erleichterte Wählerschaft, die bestätigt, dass sie kollektiv die richtige Wahl getroffen hat.“
Australiens neuer Premierminister: Alles ganz „easy“ mit Albanese?
Vor dem Hintergrund eines sanierungsbedürftigen, verschuldeten Haushalts, wachsenden Ängsten vor einer weltweiten Rezession, anhaltend hoher Inflation und steigender Zinssätze besteht in Australien dringend Handlungsbedarf. Das gilt für Gesundheitswesen, bei der Sozialhilfe, im Wohnungsbau, im Bildungswesen, bei den Beziehungen zum Pazifikraum und gegenüber einem zunehmend aggressiven China. Für Albanese standen daher in den ersten Wochen neben eine Reise zum Nato-Gipfel und in die Ukraine bilaterale Gespräche mit Indonesiens Präsident Joko Widodo, die Teilnahem am Pazifik-Forum und der Besuch der Torres-Strait-Inseln an. Dazwischen kurz im Regierungssitz Canberra ein Gesetz zur Emissionsreduzierung von 43 Prozent bis 2030 auf den Weg bringen, um nicht mehr als Nachzügler beim Klimawandel zu gelten. Albanese will den abgelegenen Kontinent in Klima- und Sicherheitsfragen als „global player“ positionieren.
Beim Treffen mit Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron renkte er Australiens Beziehungen mit Frankreich nach dem von Morrison verursachten unglücklichen Aus des Atom-U-Boot-Deals wieder ein. Überhaupt hatte man den Eindruck, der neue Staatschef versuchte in den ersten Wochen einiges gerade zu rücken, was sein Vorgänger laut Albanese in einem „Jahrzehnt der Verleugnung und Verzögerung“ verspielt hatte. „Wir müssen die Art und Weise, wie die Politik in diesem Land funktioniert, ändern“, hatte er bei seinem Wahlsieg am 21. Mai versprochen. Albanese gehört seit 26 Jahren dem Parlament an, war vor seiner Wahl neun Jahre in der Opposition. „Ich weiß, dass eine gute Regierung Leben verändern kann. Ich habe das selbst erlebt“, spielte er bei seiner Rede anlässlich seiner 100 Tage im Amt im National Press Club am Montag auf seine schwere Kindheit an. Er wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in einer Sozialwohnung auf. „Deshalb werden wir nie den Blick von dem großen Ziel abwenden – der Zukunft. Dies ist unsere Chance, eine neue Generation des Wohlstands und der Fairness für alle Australier zu sichern.“
Australien: „Willkommene Abkehr“ von der Vorgänger-Regierung
Albanese konnte in seinen ersten drei Monate in der Außen- und Klimapolitik sowie bei den dringendsten Fragen im Gesundheits- und Sozialwesen punkten und erste Erwartungen in Wirtschaftsfragen erfüllen. In seiner Regierung werden zehn der 22 Ministerien von Frauen geleitet – so viele wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Eine „willkommene Abkehr von der vorherigen Morrison-Regierung“ sei bereits auch in Bezug auf die Gleichstellung indigenen Bevölkerungsgruppen sichtbar, sagte die Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Kyinzom Dhongdue, IPPEN MEDIA. „Amnesty International Australien ist vorsichtig optimistisch, wenn man die Versprechen der neuen Labor-Regierung bedenkt, einen freundlicheren und sanfteren Ansatz in die Politik zu bringen.“
Bei Albaneses Pressekonferenz nach seinem Wahlsieg waren erstmals die Flaggen der Aborigines und der Torres-Strait-Inseln neben der australischen Flagge aufgestellt. Mehr als eine einfache Geste, ein längst überfälliger Schritt auf dem Weg der Versöhnung mit den First Nations Australiens. Bislang konnte er allerdings sein Versprechen aus dem Bekenntnis zum „Uluru Statement aus dem Herzen“ zur Anerkennung der First Nations in der Verfassung noch nicht umsetzen: Ein Datum für eine Abstimmung über ein dauerhaftes indigenes Gremium im Parlament und wie es überhaupt zusammengesetzt sein soll, steht mangels breiter Unterstützung noch aus.
Australien steht vor großen Herausforderungen nach der Corona-Pandemie
Beim nach wie vor schwierigen Thema Lohnerhöhung will Albanese Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften beim sogenannten Beschäftigungsgipfel im September an einen Tisch bringen. Die Entkoppelung von Lohnwachstum und Beschäftigungsquote bereitet der Politik Kopfzerbrechen. Der Arbeitskräftemangel infolge der Corona-Pandemie würgt die Wirtschaft ab – betroffen sind vor allem die kritischen Sektoren wie Gesundheitswesen, Altenpflege, Kinderbetreuung und Tourismus. Der Fokus des Ministerpräsidenten liegt dabei auf Zusammenarbeit. Das „Wie“ sei ihm genauso wichtig wie das „Was“. Er wolle nach Lösungen statt Argumenten suchen, versprach er nach seinem Wahlsieg.
Trotz der Labor-Mehrheit im Parlament regiert Albanese daher, als ob er eine Minderheitsregierung führt – er sucht Kompromisse und dringt auf gemeinsame Lösungen. Sein Schlüssel zur Wiederbelebung des Wachstums könnte eine Anhebung der Obergrenzen auf 200.000 von rund 120.000 Visa für qualifizierte Zuwanderer pro Jahr sein. Wegen der Abschottung Australiens während der Pandemie wanderten mehr qualifizierte Arbeitskräfte ab als ins Land kamen. Finanzminister Jim Chalmers bestätigte, dass die Erhöhung der Zuwanderungszahlen auf der Tagesordnung des Gipfels im September steht. Aber allein der ebenfalls durch die Pandemie verursachte enorme Rückstau bei der Visa-Bearbeitung beläuft sich auf fast einer Million bereits eingegangener Anträge.
Tagespolitik befasst sich weiter mit Skandal der Vorgänger-Regierung
Neben den Herausforderungen des Reformstaus beschäftigt die heimliche Übernahme zahlreicher Ministerien durch den ehemaligen Ministerpräsidenten die Tagespolitik. Morrison hatte sich während der Pandemie unter anderem das Gesundheits-, Finanz und Umweltressort ohne das Parlament zu informieren übertragen und in seiner Funktion als Umweltminister ein umstrittenes Gasförderungs-Projekt vor der Küste New South Wales blockiert. Auch wenn Morrison auf dem Papier verfassungsgemäß gehandelt hat, hält Albanese daran fest, dass die Geheimniskrämerei um die Vorgänge gegen die Konventionen der Rechenschaftspflicht des Parlaments verstoße und die Demokratie untergrabe. Der Fall Morrison wird nun unabhängig untersucht. Die Opposition wirft Albanese in dem Zusammenhang eine Hexenjagd und die Konzentration auf die Vergangenheit vor.
Es bleibt abzuwarten, was im Zuge der Ermittlungen noch ans Tageslicht gerät und wie schnell Institutionen, die an die Vorliebe der Morrison-Regierung für politische Auseinandersetzungen und nicht an Reformen gewöhnt sind, sich an Albaneses kooperativen Stil und Tempo gewöhnen können.