Feministische Außenpolitik: So will Baerbock das Auswärtige Amt und die Strategie umkrempeln

Nach 15 Monaten Regierungszeit legt Annalena Baerbock ihre Leitlinien zur feministischen Außenpolitik vor. Diese ziehen sich durch alle Bereiche der Außenpolitik. Auch im eigenen Haus wird aufgeräumt.
Berlin – Einen Seitenhieb gegen CDU-Chef Friedrich Merz konnte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nicht verkneifen. „Ich muss zugeben, dass ich mich immer wieder gewundert habe, was das für ein Trigger-Wort ist, dieses kleine Wort feministisch“, begann sie am Mittwoch ihre Rede im Auswärtigen Amt. Feministische Außenpolitik sei kein Kampfbegriff, sondern leite sich aus dem Grundgesetz ab – „und das ist sicher kein Gedöns“, so die Grünen-Politikerin. Man möchte gerne ein „lieber Herr Merz“ hinzufügen. „Wenn Frauen sicher sind, dann sind alle sicherer“, konstatierte Baerbock wenig später.
In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Länder zu einer feministischen Außenpolitik bekannt. Deutschland ist also keineswegs Vorreiter. Erfunden hat es gewissermaßen Schweden. Es war Außenministerin Margaret Wallström, die 2014 bekannt gab, künftig einen solchen Kurs verfolgen zu wollen. Ein Regierungswechsel später ist das passé, Stockholm hat unter Führung seiner rechts-konservativen Regierung die feministische Außenpolitik für obsolet erklärt. Doch die Idee ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Mittlerweile haben sich zahlreiche Staaten diesem außenpolitischen Grundsatz verschrieben – darunter Länder wie Kanada, Frankreich, Mexiko, Libyen, Luxemburg, Spanien und eben Deutschland.
Annalena Baerbock stellt Strategieplan für feministische Außenpolitik vor
Die feministische Außenpolitik stellt die Verteidigung der Menschenrechte und marginalisierter Gruppen in den Vordergrund und strebt nach Gleichberechtigung. Mehr Frauen sollen dafür in der ersten Reihe der Diplomatie stehen. Ein noch immer männlich dominierter Raum. So gab das Weltwirtschaftsforum 2018 an, dass nur vier Prozent der zwischen 1992 und 2011 geschlossenen Friedensabkommen von Frauen unterzeichnet wurden. Auch in den Verhandlungsteams waren sie nur zu neun Prozent vertreten. Dabei zeigt eine Untersuchung von UN Women, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen länger als zwei Jahre hält, um 20 Prozent steigt, wenn Frauen an den Verhandlungen teilnehmen. Bedeutet im Umkehrschluss: Frauen könnten zwar dazu beitragen, Konflikte besser zu lösen. Sie sitzen bloß meist nicht am Tisch. Das ändert sich – langsam.
Auf diesen Erkenntnissen aufbauend hat das Auswärtige Amt einen gut 80-seitigen Katalog mit zehn Leitlinien zur feministischen Außenpolitik entwickelt. Im Vorwort schreibt Annalena Baerbock, Frauenrechte seien ein Gradmesser für den Zustand der Gesellschaften. Gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) stellte sie an diesem Mittwoch die Konzepte für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik vor. „Wir rufen nicht eine Revolution aus, sondern wir tun eine Selbstverständlichkeit – dafür sorgen, dass wir mit unserer Politik alle Menschen erreichen“, sagte die Grünen-Politikerin. Ab dem Sommer soll auch eine „Botschafterin des Auswärtigen Amts für feministische Außenpolitik“ ernannt werden. Was nichts anderes heißt als: Man will im eigenen Haus aufräumen. Und muss es auch.
Baerbock: Auswärtiges Amt muss sich an die eigene Nase greifen – Frauen sind bislang unterrepräsentiert
Denn dort krankt es bislang an Diversität. Nur 27,1 Prozent der Botschaften und 26 Prozent der Referatsleitungen werden von Frauen geführt, wie es im Leitfaden-Katalog heißt. Ein eklatantes Ungleichgewicht, das nicht davon überdeckt werden darf, dass mit Baerbock erstmals eine Frau das höchste diplomatische Amt innehat. So steht eine tiefgreifende Umstrukturierung an, unter anderem durch die Einführung einer neuen Laufbahn ohne die obligatorische Rotation. An ihrem auf Twitter gegebenen Versprechen „we are getting there“, begleitet von einem Foto, das sie mit anderen Außenministerinnen zeigt, wird sich Baerbock also auch im eigenen Haus messen lassen müssen.
Weitere Hintergrundinformationen zu Leitlinien des Auswärtigen Amts
Konkrete Auswirkungen könnten die Leitlinien auch auf die Verwendung der finanziellen Mittel des Ministeriums haben. Bis 2025 sollten 85 Prozent der Projektmittel „gendersensibel“ ausgegeben werden – das bedeutet, vor Verwendung der Mittel muss ausdrücklich ein Augenmerk darauf gelegt werden, wie Frauen davon profitieren. Weitere acht Prozent sollten „gendertransformativ“ ausgegeben werde. Das heißt, die Mittel sollen aktiv zu Gleichstellung beitragen. Weitere Leitlinien des Konzepts betreffen etwa die Integration der Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen in der weltweiten Arbeit des Amts für Frieden und Sicherheit, das Engagement für eine größere Teilhabe von Frauen und marginalisierten Gruppen in Friedensprozessen und der Kampf gegen sexualisierte und geschlechtsspezifsche Gewalt in bewaffneten Konflikten.
Die feministische Ausrichtung werde sich „durch alle Bereiche der Außenpolitik ziehen“, sagte Annalena Baerbock bei der Veranstaltung im Auswärtigen Amt weiter. Als Beispiele nannte sie Friedensmissionen, Krisendiplomatie, humanitäre Hilfe und auswärtige Kulturpolitik. Dabei gehe es um die Rechte von Frauen, um Ressourcen für Frauen und Frauenförderung sowie um die Repräsentanz von Frauen. Klar machte sie am Mittwoch in Berlin jedoch auch: „Feminismus ist kein Zauberstab. Wir sind nicht naiv. Wir werden mit einer feministischen Außenpolitik nicht alle Probleme dieser Welt lösen können.“ Es ist ein oft von Kritiker:innen erhobener Vorwurf, dem sich die grüne Außenpolitikerin damit entgegenstellt.
„Solange Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher“, fügte Baerbock hinzu. Das habe ihr eine Ukrainerin kurz vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs gesagt. Das klingt kein bisschen naiv.