Die Zahl resistenter Keime nimmt zu. Doch viele Pharmaunternehmen haben sich aus der Entwicklung von neuen Antibiotika verabschiedet. Es lohnt sich finanziell für sie nicht.
Von Sonja Werner und Frank Schmidt-Wyk
Zwei neue Antibiotika stehen aktuell kurz vor der Markteinführung, sechs weitere sind im Zulassungsverfahren. Zu wenig, wie selbst Vertreter der Pharmabranche sagen.
(Foto: dpa)
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Es war ein Meilenstein der Medizingeschichte, als Mitte des 20. Jahrhunderts industriell hergestellte Antibiotika eingeführt wurden. Zahlreiche Erkrankungen verloren ihren Schrecken. Lungenentzündungen, Scharlach oder Syphilis waren plötzlich besser behandelbar. Nun befürchten jedoch Experten, dass Antibiotika ihre Wirksamkeit verlieren könnten. Die Zahl der resistenten Keime nimmt zu. Gleichzeitig forschen die Pharmaunternehmen zu wenig nach neuen Wirkstoffen für Antibiotika. Es lohnt sich finanziell für sie nicht.
Obwohl die Ausbreitung resistenter Keime als globale Gefahr gilt, haben sich nach Recherchen des NDR etliche Pharmaunternehmen aus der Forschung im Bereich Antibiotika zurückgezogen, sodass sie auch keine neuen Medikamente mehr auf den Markt bringen, darunter Branchenriesen wie Johnson & Johnson, Novartis, Sanofi, Astra Zeneca und Bayer. Das Problem: Die Entwicklung neuer Antibiotika ist sehr aufwändig und teuer, gleichzeitig fallen die Erlöse niedrig aus – schon, weil die Medikamente als Reserve für schwere Fälle zurückgehalten werden sollen.
Auch das Engagement der Pharmafirmen in der Rhein-Main-Region beim Thema Antibiotika hält sich in Grenzen. Das gleiche gilt für das Mitteilungsbedürfnis der Unternehmen, wenn man nach den Hintergründen fragt.
Merck in Darmstadt gehörte in den 1920er-Jahren zu den Pionieren, stieg laut Auskunft einer Sprecherin aber bereits Ende der 1980er Jahre aus der Antibiotikaforschung und -entwicklung aus. „Aus strategischen Gründen“, wie es auf Nachfrage kurz angebunden heißt. Allerdings ist der Konzern nach wie vor im Bereich Diagnose aktiv und unterstützt punktuell die externe Forschung. Boehringer Ingelheim wiederum konzentriert sich bei der Antibiotika-Forschung schon immer ganz auf die Tiermedizin, so eine Sprecherin. Bei Abbot und Abbvie in Wiesbaden verweist der eine auf den anderen: „Nach der Abspaltung unseres firmeneigenen Pharmageschäfts im Jahr 2013 ist Abbot nicht mehr im Bereich der Entwicklung neuer Medikamente tätig“, heißt es bei Abbot. Stattdessen konzentriere man sich auf die Bereitstellung patentfreier Arzneimittel in Schwellenländern. Das Pharmaunternehmen Abbvie, 2013 durch Abspaltung von Abbot entstanden, erklärt derweil: „Seit 2013 ist Abbvie ein von Abbott unabhängiges Unternehmen. Abbvie ist seitdem nicht in der Forschung und Entwicklung im Bereich Antibiotika aktiv.“ Beim dänischen Unternehmen Novonordisk wiederum, dessen Deutschlandsitz sich in Mainz befindet, liegt der Schwerpunkt traditionell auf der Diabetesversorgung.
Weltweit arbeiteten aktuell mehr als 50 Unternehmen an neuen Antibiotika, teilt der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) mit. Zwei neue Antibiotika stünden kurz vor der Markteinführung, sechs seien im Zulassungsverfahren, 30 weitere würden in Studien mit Patienten erprobt. „Aber diese Neuentwicklungen reichen leider nicht aus, um dauerhaft einen Vorsprung gegenüber resistenten Bakterien zu behalten“, räumt auch der vfa ein. Epidemiologen hätten errechnet, dass dafür mindestens dreimal so viele Antibiotika entwickelt werden müssten.