Urteil gesprochen: Lebenslange Haft für Mörder von Johanna aus Bobenhausen
Für den fast 20 Jahre zurückliegenden Mord an der kleinen Johanna ist ein 42-Jähriger zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht Gießen sprach den Mann am Montag schuldig.
Von Michael Giers
Nach dem Ende des Prozesses von Journalisten umlagert: Gabriele Bohnacker, Mutter der getöteten Johanna. Fotos: Schepp
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BOBENHAUSEN/GIESSEN - Lebenslange Haft wegen Mordes an der achtjährigen Johanna Bohnacker aus Bobenhausen sowie die Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld: So lautete am Montag das Urteil gegen den 42-jährigen Angeklagten aus Friedrichsdorf (Taunus), der sich seit April vor dem Landgericht Gießen für seine schreckliche Tat vor mehr als 19 Jahren verantworten musste. Damit folgte die 5. Große Strafkammer in vollem Umfang dem Antrag von Staatsanwalt Thomas Hauburger. Der Verteidiger des Beschuldigten, Uwe Krechel aus Bonn, kündigte an, Revision gegen das Urteil einlegen zu wollen.
Bei der Urteilsbegründung von Richterin Regine Enders-Kunze stand der Ablauf des Geschehens am 2. September 1999, dem Todestag von Johanna, im Mittelpunkt. Der genaue zeitliche Rahmen von damals habe während der Beweisaufnahme anhand der Zeugenaussagen minutiös eruiert werden können und weiche deutlich von den Einlassungen des Täters ab. So, wie er es geschildert habe, könne es nicht gewesen sein. Das gelte auch für seine Ausführungen zum Tatablauf. Der Angeklagte habe seine Aussagen "in einer Dreistigkeit, wie ich sie bisher noch nie erlebte", dem Prozessverlauf angepasst. Dabei handele es sich eindeutig um, wie die Juristen sagen, Schutzbehauptungen, was, anders formuliert, "alles eine große Lüge war".
Die tatsächlichen Fakten hätten ein anderes Bild ergeben. Für das Schwurgericht stehe fest, dass Johanna erstickte, weil der Friedrichsdorfer den Kopf des Kindes aus sexuellen Motiven 29 Mal mit 15 Meter Klebeband umwickelt hatte. "Das Klebeband war das Mordwerkzeug." Nicht festlegen wollte sich das Schwurgericht auf den konkreten Hergang des Mordes, weil der nicht definitiv zu ermitteln war. Hier stellte Enders-Kunze zwei Alternativen in den Raum. Entweder habe der Täter das Mädchen zur Bedürfnisbefriedigung missbraucht und getötet oder aber er habe den Mord begangen, um seine Straftat zu verdecken.
An diesem Punkt setzte nach dem Ende des offiziellen Verfahrens die Kritik von Strafverteidiger Uwe Krechel an: "Wieso nennt das Gericht bei seiner Urteilsbegründung nur zwei Alternativen? Die dritte Möglichkeit bleibt nicht auszuschließen, dass der Tod durch Ersticken nicht gewollt, sondern ein Unfall war." Krechel hatte deswegen auf Totschlag plädiert. Ekel und Abscheu dürften nicht dazu führen, dass man die Darstellung seines Mandanten völlig ausblende. Auf dieser Basis will er unter anderem seinen Revisionsantrag begründen. Zumal er weiterhin die Auffassung vertrete, dass der Täter stark rauschgiftsüchtig gewesen sei und deswegen die Einweisung in eine Entziehungsklinik in Betracht hätte kommen müssen. Nach dem Urteil übergab der Anwalt dem Verurteilten ein Buch zum Lesen im Gefängnis, das Krechel selbst geschrieben hat. Titel: "Mörder Mann":
Richterin Enders-Kunze hatte in ihrer Urteilsbegründung ausgeschlossen, dass der Rauschgiftkonsum einem Haftvollzug entgegenstehe, denn die Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. Rolf Speier habe ergeben, dass dies bei der Tatausführung keine einschränkende Rolle spielte, was zudem die Aussage eines Autounfallbeteiligten bestätigte, mit dem der Mörder kurz vor der Tat kollidierte. Dieser Zeuge gab an, sein Gegenüber habe im Gespräch sehr kontrollierte und normale Angaben gemacht.
Der Friedrichsdorfer sei an diesem Tag aufgebrochen, um ein Mädchen zu entführen und zu vergewaltigen. Die besondere Schwere der Schuld, so die Richterin, ergebe sich aus dem Ablauf: "Die Tat in Bobenhausen geschah nicht nachts im Dunkeln, sondern bei schönstem Sommerwetter." Da habe der Mann ein achtjähriges, spielendes Mädchen aus reiner Willkür ergriffen, mit Chloroform betäubt und in den Kofferraum seines Autos eingesperrt. Grauenhaft, entsetzlich und unfassbar sei diese Vorgehensweise eines Täters gewesen, der auch vor Gericht sein wahres Gericht zeigte.
Schon die Untersuchungsrichterin, die den Festgenommenen im vergangenen Jahr vernahm, kam als Zeugin zu der Erkenntnis, hier handele es sich um einen Menschen, der sich vor Gericht wie "ein Star in der Manege" fühle. Zu dieser Bewertung kamen auch viele, die den 20 Verhandlungstagen beiwohnten und einen Beschuldigten erlebten, der keine Reue zeigte, sondern wie ein Sachverwalter des Grauens auftrat, als er beispielsweise bei der Vorführung schlimmster Kinderpornos aus seinem Fundus nur wissen wollte, welche Nummer die sichergestellte Datei habe. Der Angeklagte sei ein gefühlskalter Egomane, stellte Enders-Kunze fest. Bei der Urteilsverkündung gab sich der Mann völlig emotionslos. Mit beiden Armen auf den Tisch gelehnt, starrte er die Richterin an.
Gefasst verfolgte Gabriele Bohnacker das Geschehen am Schlusstag des Prozesses, der von einem riesigen Medienrummel begleitet wurde. Von ZDF über ARD bis hin zu fast allen Privatsendern waren etliche Fernsehteams ins Landgericht gekommen, in dem auch der Besucherraum des Saals 207 so überfüllt war, dass einige Leute stehen mussten. Nach dem offiziellen Teil bemühten sich die TV-Reporter um eine Stellungnahme der Mutter. Auf die Frage, ob sie das Ganze nun persönlich abschließen könne, entgegnete sie: "Das werde ich nie abschließen, denn ich habe ein Kind verloren." Allerdings schätze sie das Urteil sehr positiv ein: "Jetzt fühle ich mich besser als noch vor einer Woche." Zumal die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beinhaltet, dass der Mörder nicht vorzeitig entlassen werden kann und mehr als 15 Jahre absitzen muss.