Michael Schroeder und Manfred Meuser stellen den vierten Band der Ortenberger kleinen historischen Schriften über das jüdische Leben in der Stadt vor.
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Michael Schroeder und Manfred Meuser, zeigen das älteste in der Stadt erhaltene Dokument jüdischer Geschichte. Foto: Potengowski
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ORTENBERG - Im Alten Rathaus stellten Manfred Meuser und Michael Schroeder das vierte Heft der Ortenberger kleinen historischen Schriften vor. Auf rund 50 Seiten behandelt das Büchlein die Geschichte der jüdischen Gemeinde seit dem Mittelalter bis zu ihrer Auslöschung durch die Nationalsozialisten. Dabei gehen die Autoren auch Spuren Überlebender nach dem Zweiten Weltkrieg nach.
Der Tag der Vorstellung hätte symbolträchtiger kaum gewählt werden können. 80 Jahre nach der sogenannten Reichspogromnacht, die den Terror gegen Juden zu einem neuen Höhepunkt führte, erinnerten Meuser und Schroeder daran, dass damit auch ein wesentlicher Teil deutscher Geschichte und Kultur vernichtet wurde. In ihrem Werk zeigen sie, wie selbstverständlich die später Vertriebenen und zum Teil Ermordeten unter ihren Mitbürgern als Teil der Gemeinschaft lebten.
Schroeder verweist auf den ältesten Beleg für jüdisches Leben in Ortenberg aus dem Jahr 1242 - noch bevor die Stadtrechte erworben wurden. Beeindruckend ist eine Steuerliste der Stadt aus dem Jahr 1656. Sie wurde mit dem Pergament eines Morgengebets zu Jom Kippur eingebunden. Dadurch wurde das Dokument, das auf die Zeit um 1400 datiert wird, überliefert. Schroeder betont, dass diese Zweitverwendung der Schrift keinesfalls eine Herabwürdigung war. Der gleiche Umgang mit solchen Dokumenten sei auch von christlichen Texten bekannt. Überhaupt belegt der Band, dass das Zusammenleben zwischen Christen und Juden in Ortenberg über Jahrhunderte wohl ohne größere Konflikte verlief. Aus dem 17. Jahrhundert sind jedoch Dokumente überliefert, die zeigen, dass die Ortenberger Juden als Bewohner zweiter Klasse gesehen wurden. Dort wird erörtert, wo und wie sie ihr Vieh weiden lassen dürfen. Deutlich ist herauszulesen, wie unvorstellbar für die Bürger eine Gleichberechtigung gewesen ist. Dabei sind die Argumentation bisweilen grotesk. So beschwert sich die Stadt bei Graf Johann Martin zu Stolberg, "Unruh und Geschrey" aus der Synagoge wären so groß, "dass es die benachbarten am Sambstags feyerabendt mit großem Unmuth hören müßen [sic.]". Schroeder merkt an, dass der Lärm aus dem Wirtshaus "sicherlich in keinem Verhältnis zum jüdischen Bibelunterricht in der Synagoge gestanden" habe.
Konsequenzen scheinen diese kleineren Konflikte, die man rückblickend eher im Bereich der Nachbarschaftsstreitigkeiten einordnen könne, nicht gehabt zu haben. Denn die Synagoge neben dem Wirtshaus bestand - bis das Gebäude wegen Einsturzgefahr aufgegeben werden musste. Als Ersatz wird ein Anwesen in der heutigen Wilhelm-Leuschner-Straße auf Kredit gekauft.
Dass die Mitglieder der jüdischen Gemeinde im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu den angesehenen Bürgern der Stadt zählen, beschreibt Meuser anhand einer Geschichte. Sie behandelt die legendären Rindswürstchen des jüdischen Metzgers Kaufmann, dessen Schlachthaus rückseitig an die Metzgerei Mann in der "Strack Gass" gegrenzt habe. Daraus habe sich eine gute Zusammenarbeit entwickelt.
Er könne sich selbst noch an die Würstchen erinnern, erklärt Meuser. Denn als die Familie Kaufmann aus Deutschland vertrieben worden sei, habe sie dem Metzger Mann das Rezept überlassen.
Schroeder und Meuser schildern aber auch eindringlich Übergriffe auf die jüdische Gemeinde durch die Nationalsozialisten. So wird in der Nacht vom 28. auf den 29. September Willi Stern durch sieben Vermummte so stark misshandelt, dass er schwer verletzt aus Ortenberg wegzieht und monatelang ärztlich behandelt werden muss. Wegen des Terrors und der Repressalien auch von der Stadtverwaltung haben bis Ende Juni 1936 alle jüdischen Familien Ortenberg verlassen.
Dass die Stadt für viele Heimat bleibt, zeigen Briefe, die Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg nach Ortenberg schreiben und nicht zuletzt die Geschichte des Gottlieb Schiff. Gemeinsam mit dem früheren Bürgermeister Fritz Engel hat er in Ortenberg die SPD gegründet. Meuser berichtet, dass ihm wegen seiner Auszeichnungen als Veteran des Ersten Weltkriegs nach der KZ-Haft erlaubt worden war, Deutschland zu verlassen. 1972 kehrte er in seine Heimatstadt zurück und legte auf jedem Grab seiner früheren SPD-Genossen eine rote Rose ab. Danach habe er den Wunsch geäußert, neben diesen begraben zu werden. Auf der Rückfahrt nach Frankfurt verunglückte er tödlich.
"Dieses Buch kann natürlich nichts gut machen oder wiederbringen", erläutert Schroeder. "Unser Anliegen war, den Menschen, die umgekommen sind, ihre Würde wieder zu geben." Als Lehre aus der Geschichte der Ortenberger jüdischen Gemeinde könne man sich gegen Ausgrenzung einsetzen.