Von Berlin nach Schwickartshausen: Studierende der Kirchenmusik praktizieren mit Krystian Skoczowski das Stundengebet (im Bild links Pfarrer Miedreich, Gemeindereferentin Maria Schieber). Foto: Maresch
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SCHWICKARTSHAUSEN - Es ist schon dunkel, in der Hintergasse fällt ein schwaches Licht aus der geöffneten Tür der evangelischen Kirche. Dann hört man Singstimmen in klarem, schwebendem, liturgischem Gesang. Beleuchtet ist nur der Chorraum, wo sich sechs junge Leute, Studenten der kirchenmusikalischen Fakultät der Universität der Künste (Berlin), mit ihrem früheren Dozenten Krystian Skoczowski versammelt haben.
Als "Ensemble Arcanum" sind sie einander freundschaftlich verbunden, haben auch schon mit einem Repertoire aus mehreren Epochen konzertiert. Niddas katholischer Pfarrer Matthias Miedreich und Gemeindereferentin Maria Schieber sind gekommen und singen mit.
Die Gruppe singt in lateinischer Sprache die Komplet, Teil des sogenannten Stundengebetes und liturgischer Abschnitt vor dem Schlafengehen. Schon seit mehreren Jahren nehmen Patrick Orlich, Daniel Seeger, Paul Roßman, Inga Diestel, Justine Polle und Justus Lorenz am Jahresanfang die Strecke von Berlin nach Schwickartshausen auf sich. In einem mehrtägigen Treffen mit Kirchenmusiker Krystian Skoczowsky praktizieren sie das Singen des Stundengebets: um 8.30 das Morgen-, um 12.15 das Mittags-, um 17.30 das Abend- und um 21 Uhr das Nachtgebet, alle vier zwischen 10 und 30 Minuten lang. "Skoczowsky war unser Dozent und führt uns so gut, dass wir immer wieder kommen", sagt Justine Polle.
Bewusst stellt sich die Gruppe damit in eine alte liturgische Tradition, um "das Netz des Betens rund um die Welt nicht abreißen zu lassen", wie im Nachgespräch formuliert wird. "Wenn die einen schlafen, singen die anderen in anderen Ländern." Vorformen habe es schon in der frühen Kirche des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts gegeben, berichten die Studenten. Später wurde das Stundengebet weiterentwickelt, der Charakter des Wechselgesangs zwischen Vorsänger (hier Krystian Skoczowsky), Lektor (hier Justus Lorenz) und der Gruppe wurde vertieft. Weil das von Laien in der täglichen Arbeit gar nicht durchzuhalten war, wurde das Stundengebet immer mehr zur Musikform der Klöster, beeinflusste aber auch Gebetsformen anderer Konfessionen, etwa den anglikanischen Evensong. Skoczowsky: "Auch das evangelische Gesangbuch hat vier Stundengebete, die altkirchlich-gregorianischen Vorbildern folgen. Praktiziert wird das Stundengebet heute neben den Ordensgemeinschaften eher in Tagungshäusern, katholischen wie evangelischen. Man braucht wohl ein wenig 'Ausstieg aus dem Alltag', um sich in Ruhe darauf einlassen zu können."
Den Ausstieg samt der Übung in dieser nur scheinbar einfachen Art des Singens verbinden die Studenten wohl mit ihrer Schwickartshausen-Fahrt. Beim Zuhören könnte man von "puristischer Musik" sprechen: Jede einzelne Stimme fügt sich homophon ein, es gibt nur kleine Intervalle, meist Sekunden oder Terzen, keine Taktschemata. Der Gesang scheint sanft zu schweben, zu steigen und abzufallen. Wechselnde Psalmen stehen im Mittelpunkt des Stundengebetes, dazwischen ein Hymnus, die Bitte um Gottes Schutz, Bewahrung vor "der Träume Schwarm, den Sinnestäuschungen der Nacht". Licht ist ein wichtiges Symbol, das immer wieder auftaucht.
Es ist kalt in der Kirche. Wenn man die Augen schließt, sich ganz auf die Stimmen einlässt, scheinen Melodie und eigene Atemzüge zu verschmelzen - eine meditative Atmosphäre baut sich auf.
Angenehmer Kontrast ist dann Skoczowskys warme Wohnküche. Die Studenten wohnen während des Aufenthalts bei ihm und bestätigen die Eindringlichkeit des Stundengebetes: "Es gibt dem Tag Struktur und Ruhe", meint Daniel Seeger.