Forschungsprojekt "Dorf und Du" soll neue Impulse für Ortskerne entwickeln
Es geht um die Dörfer: Sie sind liebenswert, lebenswert und doch gefährdet. Möglichkeiten etwas zu tun, bietet zum Beispiel die Schulung "Gemeinsam fürs Dorf". Die startet am Freitag in Lißberg. Die Schulung gehört zu dem Forschungsvorhaben "Kommunen innovativ. Regionalstrategie Ortsinnenentwicklung in der Leader-Region Wetterau/Oberhessen". Dieses Modellvorhaben heißt nun "Dorf und Du". Es ist ein Forschungsprojekt des Bundes, um eine wissenschaftlich fundierte Bestandsanalyse zu bekommen. Langfristiges Ziel ist es, neue Impulse für die Ortskerne zu entwickeln.
Von Myriam Lenz
Lokalredakteurin Kreis-Anzeiger
Die Projektbeteiligten des Forschungsvorhabens "Dorf und DU" wollen die Begeisterung bei den Bürgern wecken. In der Mitte Projektleiter Otfried Herling. Foto: Lenz
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WETTERAUKREIS - Es geht um die Dörfer: Sie sind liebenswert, lebenswert und doch gefährdet. Und es geht darum, diejenigen anzusprechen, die dort morgens die Brötchen holen, auf den Bus warten, in den Dorfgemeinschaftshäusern ihre Vereinstreffen organisieren und mit offenen Augen und vielleicht auch skeptischem Blick durch ihren Ort gehen. Meckern oder gestalten? Verteufeln oder das Potenzial erkennen? Möglichkeiten etwas zu tun, bietet zum Beispiel die Schulung "Gemeinsam fürs Dorf". Die startet am Freitag in Lißberg. Das Interesse ist so groß, dass noch eine zweite Staffel ins Programm genommen wurde.
Die Schulung gehört zu dem Forschungsvorhaben "Kommunen innovativ. Regionalstrategie Ortsinnenentwicklung in der Leader-Region Wetterau/Oberhessen". Um Interessierte nicht mit diesem Namen zu vergraulen oder ihnen nahezu aufzudrängen, dass das mit ganz viel Bürokratie statt Praxis verbunden ist, heißt dieses Modellvorhaben nun "Dorf und Du". Es ist ein Forschungsprojekt des Bundes, um eine wissenschaftlich fundierte Bestandsanalyse zu bekommen - also kein typisches Förderprogramm. Langfristiges Ziel ist es, neue Impulse für die Ortskerne zu entwickeln und die Wichtigkeit dafür in den Köpfen, derer die dort leben und die politisch dafür verantwortlich sind, zu verankern.
Sechs Dörfer machen den Anfang, werden unter die Lupe genommen und deren Potenziale durch die Justus-Liebig-Universität Gießen ausgewertet. Die Erkenntnisse sollen dann eine wissenschaftliche Grundlage für die ganze Region bieten, sagt Dr. Andrea Soboth vom Institut für Regionalmanagement. In Butzbach stellen die Projektbeteiligten das Vorhaben vor.
Zu den Partnern gehören unter anderem die Uni Gießen, der Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main und das Amt für Bodenmanagement. Die Behörde wird ein Kataster für die gesamte Region erarbeiten. Die Bürger spielen eine Schlüsselrolle. "Wir wollen weit in die Bevölkerung rein, es ist wichtig, ganz viele mitzunehmen", sagt Dr. Andrea Soboth. Aus diesem Grund wurde die oben genannte Schulung angesetzt. Neu ist auch der Internetauftritt "DorfundDu.de". "Wir sind bereits mitten drin", berichtet Projektleiter Otfried Herling. Vor einem knappen Jahr startete das Projekt. Die Niddaer Stadtteile Ulfa und Ober-Schmitten, die zu Butzbach gehörenden Dörfer Hoch-Weisel und Fauerbach und Ortenberg-Gelnhaar und -Selters zeigen verschiedene Problematiken auf: Verstopfte Ortsdurchfahrten, schließende Dorfkneipen, wirtschaftlich schlecht geführte Dorfgemeinschaftshäuser, Leerstände in der Dorfmitte oder Nutzungskonflikte wie zum Beispiel die Straße in Selters durch die Schule in Konradsdorf. Um dieses Problem werden sich die Studenten der Uni Gießen genauer kümmern. Die Auswirkungen des demografischen Wandels, die bröckelnde Infrastruktur oder fehlende Bauplätze sind in fast allen Dörfern zu spüren.
Ulfa scheint das Vorzeigemodell zu sein. Bürgermeister Hans-Peter Seum schildert von den ersten Treffen, einem vollen Raum mit Leuten unterschiedlichsten Alters, die begeistert dabei waren. "Das macht einfach Spaß. Da ist kein Gejammer, da kann man mitanpacken", sagt er. Noch in diesem Jahr soll ein Maßnahmenkatalog für den Ortskern erarbeitet werden. Dieser fließt in die "Kommunalstrategie Ortsinnenentwicklung" für Nidda ein. Die Stadt am Fluss ist eine sogenannte Flächenkommune: 18 Stadtteile auf 118,3 Quadratkilometern - eine Mammutaufgabe.
Die Absicht der Bundesregierung ist eine nachhaltige Entwicklung, sagt Otfried Herling. Das heißt zum Beispiel eine Versiegelung weiterer Flächen im Außenbereich deutlich zu minimieren und darüber hinaus das Aufspüren von Leerständen, Baulücken und potenziellen Entwicklungsflächen. Das werde Schwerpunkt des nächsten Dreivierteljahres sein.
Wie geht es weiter? Auch wenn eine Förderung verschiedener Projekte durch das Strukturprogramm Leader möglich ist, ist das Projekt "Dorf und Du" als eine Bestandsanalyse zu betrachten. "Um im Dorf voranzukommen, braucht es die Menschen aus dem Dorf", weiß Bernd-Uwe Domes, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Wetterau. Ein erster gemeinsamer Ansatz sei die virtuelle Dorfakademie (der Kreis-Anzeiger berichtete). Für Städte mit 14 oder 15 Stadtteilen sei es wichtig, einen Dorfplan zu erstellen. Welches sind die Grundfunktionen? Sind sie bei einer niedrigen Einwohnerzahl umsetzbar? Welche sind bereits vorhanden? Wo können sie vielleicht zusammengefasst werden?
Hans-Peter Seum verdeutlicht es an den Lebensmittelläden in den Dörfern, die einer nach dem anderen schließen. Rentabel seien die erst mal nicht. Wenn die Bevölkerung das jedoch mittrage und alle einkaufen würden, könnten diese überleben. "Wir müssen erst einmal positive Gedanken erzeugen."
Der Weg von der Vision bis zur Umsetzung kann lange dauern. Dessen ist sich Dr. Andrea Soboth bewusst. Wie lautet ihr Rezept, um die Begeisterung der Bürger nicht durch langwierige Verwaltungswege bröckeln zu sehen? "Wir werden den Bürgern nicht das Blaue vom Himmel versprechen." Sicher wolle man für die Orte, die mitmachen, Maßnahmen entwickeln. Die müssten aber realistisch sein.
André Haußmann von Marketing Effekt formuliert es so: "Unsere Aufgabe ist es, dieses Bewusstsein zu wecken: Wenn ich nichts mache, passiert gar nichts. Am Ende entscheidet der Einzelne und der muss sich als Bestandteil der Gemeinschaft fühlen. Und merken: Das hat etwas mit mir zu tun." Foto: Lenz