Wetterauer Kreistagswahl: Schwarz-Rot bangt um Mehrheit
Die Mehrheit der schwarz-roten Koalition im Wetteraukreis bröckelt am Sonntag. Die CDU hält ihre 25 Mandate, aber die SPD verliert nach dem letzten Stand sechs Sitze. Als Gewinner können sich die Grünen fühlen.
Von Klaus Nissen
Als "ausgesprochen zufriedenstellend" wertete die CDU-Kreisvorsitzende Lucia Puttrich das Trendergebnis. Fotos: Nissen
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WETTERAUKREIS - Die Mehrheit der schwarz-roten Koalition im Wetteraukreis geriet am Sonntag ins Bröckeln. In den vergangenen fünf Jahren konnten die Christ- und die Sozialdemokraten noch mit 48 der 81 Kreistagssitze bequem regieren. Zum Redaktionsschluss konnte die CDU zwar ihre 25 Mandate halten. Doch die SPD verlor nach dem letzten Stand sechs Sitze und könnte damit nur noch 17 Kreistagsabgeordnete stellen. Am Abend blieb offen, ob diese geschrumpfte Mehrheit so bleibt, denn die Auszählung wird voraussichtlich noch bis zum Mittwoch dauern. Sie zieht sich wegen der vielen Briefwähler deutlich länger hin als bei früheren Wahlen. Die meisten Parteienvertreter sagten bei der Fragerunde im Plenarsaal, sie hofften noch auf weitere Stimmen.
Als "ausgesprochen zufriedenstellend" wertete die CDU-Kreisvorsitzende Lucia Puttrich das vorläufige Wahlergebnis. "Wir haben den Auftrag bekommen, weiter Verantwortung zu tragen." Und weil man in den vergangenen fünf Jahren mit der SPD gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, werde die CDU nach der Analyse des Endergebnisses zuerst mit den Sozialdemokraten über eine mögliche weitere schwarz-rote Koalition sprechen. Die dann freilich der CDU mehr Einfluss gäbe als bisher, wenn sich der Trend auch in den weiteren Stimmauszählungen bestätigt. Und wenn es eng würde, "kann man auch mit einer Stimme mehrheit gut regieren", sagte Puttrich unter zustimmendem Nicken ihres Parteifreundes und Landrats Jan Weckler.
Die Sozialdemokratin Stephanie Becker-Bösch wiederholte diesen Satz kurz nach Puttrichs Auftritt. Der Wahlkampf unter Corona-Bedingungen sei schwierig gewesen, sagte die Erste Kreisbeigeordnete. Die verringerten Möglichkeiten zum Gespräch hätten der SPD vermutlich Stimmen gekostet. Außerdem könne sich die Wetterauer SPD dem bundesweiten Trend nicht entziehen, ergänzte die Unterbezirksvorsitzende Lisa Gnadl. Man habe sich unter diesen Vorzeichen achtbar geschlagen - und könne bis zur letzten Auszählung durchaus noch ein bis zwei Prozent gutmachen.
Als "ausgesprochen zufriedenstellend" wertete die CDU-Kreisvorsitzende Lucia Puttrich das Trendergebnis. Fotos: Nissen
Der Wahlkampf unter Corona-Bedingungen sei schwierig gewesen, sagte die Erste Kreisbeigeordnete Stephanie Becker-Bösch (SPD) im Beisein der Wetterauer SPD-Vorsitzenden Lisa Gnadl.
Als Gewinner können sich die Grünen um Michaela Coletti fühlen.
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Als Gewinner der Kreistagswahlen konnten sich die Grünen fühlen. Sie haben ihr Ergebnis mit etwa 19 Prozent mehr als verdoppelt und holten mit letztem Stand 16 Abgeordnetensitze - bisher waren es nur sieben. Man hoffe noch, zweitstärkste Kraft in der Wetterau zu werden, sagte der Grünen-Abgeordnete Thomas Zebunke. "Auch im Ostkreis haben wir sehr stark abgeschnitten", sagte Zebunke in einer ersten Bilanz. Dieser Zuwachs für die Grünen führe auch dazu, dass im nächsten Kreistag mehr Frauen als jemals zuvor sitzen werden.
Als bedauerlich bezeichneten es Zebunke und die Grünen-Spitzenkandidatin Michaela Colletti, dass rechtsextreme Parteien im Wetteraukreis nicht entscheidend eingedämmt werden konnten. Die AfD-Fraktion schrumpfte freilich bis kurz vor Mitternacht von zehn auf sieben Abgeordnete. Wenn das so bleibt, wird Andreas Lichert, der intellektuelle Kopf der Partei, nicht mehr in den Kreistag einrücken. Als einen Grund für das schlechtere Ergebnis vermutete Lichert dem Umstand, dass die Medien über die Wetterauer Initiativen der AfD "bestenfalls nur dann berichteten, wenn es etwas zu skandalieren gab. Das hat uns überproportional geschadet". Der AfD-Fraktionsvorsitzende Michael Kuger beklagte sich, dass alle Anträge der AfD in der Regel abgelehnt wurden. Aber: "Wir sind gekommen, um zu bleiben. Und das werden wir!"
Die NPD musste bei der Kreiswahl starke Verluste hinnehmen. Ihr Altenstädter Vertreter Stefan Jagsch kommt mit gestrigem Stand nicht mehr in den Kreistag. Der Parteichef Daniel Lachmann wird künftig wohl als Einzelkämpfer im Saal sitzen. Die Freien Wähler konnten sich nach letztem Stand um zwei auf acht Kreistagssitze verbessern. "Ich bin fast euphorisiert", meinte der Abgeordnete Ronald Berg. In Münzenberg und Ortenberg gebe es sogar Chancen, stärkste Kraft zu werden. Und falls die Koalition aus CDU und SPD noch einen Juniorpartner brauche, sei man bereit. Dann, so der Spitzenkandidat Erich Spamer, würden die Anliegen der Freien Wähler nicht mehr ignoriert werden können.
Auch die Freidemokraten bezeichneten sich mit ihren vorläufig Kreistagssitzen als zufrieden. Die Liberalen gewinnen voraussichtlich einen Sitz hinzu. Man habe in der Wetterau schon zweimal mitregiert, erinnerte der Abgeordnete Peter Heidt. "Das können wir auch wieder." Die Linkspartei kann ihre drei Kreistagssitze voraussichtlich halten. In den nächsten sechs Jahren werde man Klima-Themen in diesem Gremium noch stärker einbringen, sagte Malin Potengowski (18 Jahre alt).
Nicht mehr in den Kreistag kommen vermutlich die Piraten. Auch die erstmals für den Kreistag kandidierende Partei des Satirikers und Europa-Abgeordneten Martin Sonneborn bleibt wahrscheinlich draußen.
Bei den vier vorangegangenen Kommunalwahlen haben CDU und SPD auf Kreisebene immer weniger Wählerstimmen bekommen. 2001 waren beide Parteien mit 41 und 38,8 Prozent noch sehr dominant. In jeder weiteren Wahl verloren sie Prozentpunkte. 2016 landete die CDU bei 30,5, die SPD bei 28 Prozent. Ab 2011 regierte eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und der FDP den Wetteraukreis - dominiert vom führungsstarken Sozialdemokraten Joachim Arnold. Doch bei der Kommunalwahl 2016 brach die Wählerbasis für die Grünen ein - ihr Anteil sank von 15,8 auf nur noch neun Prozent. Das lag vermutlich an den turbulenten Wochen seit Herbst 2015, in denen der grüne Sozialdezernent Helmut Betschel die Aufnahme von Tausenden Flüchtlingen organisieren musste. Die Kreistagsfraktion der Grünen schrumpfte bei der Kommunalwahl im Frühjahr 2016 von 13 auf sieben Sitze zusammen.
Die Dreierkoalition war am Ende. Die SPD einigte sich binnen weniger Wochen auf ein schwarz-rotes Bündnis, inklusive der Abwahl Helmut Betschels. Der junge Christdemokrat Jan Weckler übernahm den Posten. Zwei Jahre später wechselte Landrat Arnold in den Vorstand der Ovag. Bei der Landrats-Direktwahl im Frühjahr 2018 setzte sich Weckler gegen seine sozialdemokratische Konkurrentin Stephanie Becker-Bösch durch. Seitdem ist Weckler Landrat und Becker-Bösch die Erste Kreisbeigordnete. Ganz neu kam 2016 die AfD in den Wetterauer Kreistag. Drei Jahre nach ihrer Gründung erhielt sie auf Anhieb 12,2 Prozent und zehn der 81 Sitze im Kreistag. So wurde sie die größte Oppositionspartei.