Der Förderkreis Oberhessen sucht den Dialog - und befragt deshalb im Vorfeld der Kommunalwahl Kreistags-Parteien zu zehn Themen, die für die östliche Wetterau von besonderer Bedeutung sind.
Von André Hülsbömer
Bald ist Kommunalwahl. Der Förderkreis Oberhessen hat im Vorfeld im Kreistag vertretene Parteien zu ihren Standpunkten befragt. Symbolfoto: Sebastian Gollnow/dpa
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REGION - Die östliche Hälfte des Wetteraukreises, das Herzstück von Oberhessen, ist von ländlichem Raum und viel unverbauter Natur geprägt. Für den ehemaligen Landkreis Büdingen sind auch heute noch viele kleine Landwirtschaften, häufig im Nebenerwerb, und mittelständische Handwerksbetriebe prägend. Die zahlreichen dörflichen Gemeinschaften und ihr Vereinsleben sind vielfach intakt. Die dünne, dezentrale Besiedlung führt zu einer relativ hohen Bedeutung von Nachbarschaftsverhältnissen. Die unverbaute, abwechslungsreiche Natur- und Kulturlandschaft mit ihren fließenden Strukturen hat für Oberhessen längst das Schlagwort von der "Toskana Hessens" geprägt.
Aus diesen Merkmalen ergeben sich teilweise deutlich andere Bedarfe als im Westkreis, der seit Jahrzehnten stark vom Wachstum der Mainmetropole geprägt ist. Der Förderkreis Oberhessen hat sich bei seiner Gründung vor gut 30 Jahren zum Ziel gesetzt, für die spezifischen Belange Oberhessens überparteilich bei Verantwortungsträgern und Kommunalpolitikern im gesamten Wetteraukreis zu werben. Rolf Hartmann, Notar in Nidda und Vorsitzender des Förderkreises Oberhessen: "Für uns stehen immer drei Dinge im Vordergrund: Die charakteristische Landschaft soll geschützt werden. Deshalb setzen wir uns für qualitatives statt quantitativem Wachstum ein. Des Weiteren sehen wir in Oberhessen - nicht zuletzt unter dem Eindruck von Klimawandel und Pandemie - eine strategische Reserve für Hessen, was Dinge wie Nahrungsmittelangebot, Wasserversorgung und Naherholung angeht." Drittens erkenne der Förderkreis "in unserer dezentral-dörflichen Struktur eine der Voraussetzungen für die hohe Lebensqualität in Oberhessen. Wir legen Wert darauf, dass eine dezentrale öffentliche Daseinsvorsorge erhalten bleibt". Hartmann konstatiert: "Nicht jede Partei hat unsere Bedürfnisse hier in Oberhessen voll auf dem Schirm."
Was die weitere Entwicklung angeht, schaut Dr. Hermann Bruns, Sozialunternehmer aus Nidda und Vorstandsmitglied im Förderkreis, mit Sorge auf das, was er in den vergangenen beiden Jahren an "Wildwuchs" zu sehen bekommt: "Vor den Toren von Echzell, schon auf dem Gelände der Nachbargemarkung Berstadt, wird ein 13 Hektar großes Gelände zu einem neuen Rewe-Zentrum ausgebaut. In Lich, in Limeshain, in Grund-Schwalheim und anderswo entstehen riesige neue Logistikhallen, wo sich vor kurzem noch Hase und Igel ,Gute Nacht' gesagt haben. Das Gewerbegebiet in Nieder-Mockstadt frisst sich wie ein Krebsgeschwür immer weiter in die Landschaft." Oberhessen werde als Wirtschaftsraum entdeckt und ans Rhein-Main-Gebiet angeschlossen: "Wir wollten von den Parteien hören, wie sie damit umgehen. Wir suchen dazu den Dialog."
INFO
Der Förderkreis Oberhessen hat an sieben der acht Parteien, die im Kreistag vertreten sind, einen Fragenkatalog verschickt. Die NPD sei nicht einbezogen worden, da der Förderkreis Oberhessen sich nur mit solchen Parteien auseinandersetze, die mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sagt er. Es wurden Fragen zu zehn Themenfeldern gestellt: 1. Umwelt und Klimaschutz, 2. Gesundheit, 3. Arbeit, 4. Bildung, 5. Kultur, 6. Wirtschaftsentwicklung, Wirtschaftsförderung, Verwaltung, 7. Infrastruktur, Verkehrswegeplanung, Wohnen, Bauen, 8. Soziales, 9. Tierschutz, 10. Naturschutz. Allen Befragten wurde mitgeteilt, dass nur die ersten 100 Worte einer Antwort zu einem Themenfeld gewertet werden. Freie Wähler und SPD hielten sich an die Vorgabe, Grüne und vor allem CDU überzogen deutlich. Rede und Antwort standen Sylvia Klein (Fraktionsvorsitzende der Grünen), Erich Spamer (Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Wetterau), Christiane Jäger (Fraktionsvorsitzende der SPD) und Sebastian Wysocki (Fraktionsvorsitzender der CDU). "Sie haben pünktlich und ausführlich geliefert, was wir an sich schon als ein deutliches Zeichen dafür ansehen, dass sie einen Sinn für die Unterschiede in unserem Kreis haben und diese auch politisch adressieren", konstatiert der Förderkreis. Die Linke, FDP und AfD haben nicht geantwortet. Die vollständigen Antworttexte der vier teilnehmenden Parteien werden nach dem Erscheinen des zweiten Teils auf der Homepage des Kreis-Anzeigers veröffentlicht: www.kreis-anzeiger.de.
Im ersten Teil stellt der Förderkreis Oberhessen eine Auswahl aus den Antworten zu den Themen "Umwelt und Klimaschutz", "Gesundheit", "Arbeit", "Bildung" und "Kultur" vor, die vor allem auf die Unterschiede sowie auf in seinen Augen gute Ideen abzielt. Eine Auswahl aus den Antworten zu fünf weiteren Themen folgt in der kommenden Woche.
Umwelt und Klimaschutz
Der Förderkreis fragte: "Wie stehen Sie zum Thema Flächenausweitung von Naturschutzflächen, Stilllegungsflächen, Ausbau des Wetterauer Auenverbunds, Anlage von Urwäldern?" Die Freien Wähler sind hier deutlich: "Naturschutzflächen nicht auf guten Landwirtschaftsflächen, nur auf Brachland." Sie unterstützen das "Wilde-Bäche-Programm" und orientierten sich an der Zielvorgabe für Urwälder im Hessischen Staatsforst.
Der Förderkreis fragte weiter: "Ist die deutliche Reduktion des Wasserexports aus oberhessischen Brunnen für Sie ein politisches Ziel?" Die Freien Wähler wollen nicht den Wasserexport beschränken, sondern den Wasserverbrauch in den Ballungszentren reduzieren. Das klingt ähnlich bei SPD und CDU. Allein die Grünen setzen nicht bei der Nachfrage, sondern beim Angebot sowie dem oberhessischen Eigenverbrauch an: "Wir müssen die Grundwasserentnahme in Zukunft vor allem an die tatsächlichen Niederschläge anpassen."
Die nächste Frage lautete: "Wie stehen Sie zum Thema 'Versiegelungs-Stopp'?" Die Freien Wähler fordern eine "Reduzierung bestehender und Minimierung neuer Versiegelungsflächen", aber keinen gänzlichen Versiegelungs-Stopp. Sie verlangen eine "Prüfung von Leerstands- und Innenstadtnutzungen, bevor Neubauflächen genehmigt werden". Ein Besiedlungswachstum wollen sie aber nicht behindern, "sondern mit intelligenten Konzepten umsetzen". Weitere gesichtslose Wohnbaugebiete und weitere Mega-Hallen entlang der schnellen Straßen lassen sich so nicht verhindern. Die Grünen denken radikaler: "Wir streben mittelfristig den 'Netto Null'-Flächenverbrauch an. Wir wollen, dass eine Entwicklung nur noch auf bereits belasteten Flächen im Innenbereich stattfindet und der Außenbereich nur im absoluten Ausnahmefall mit einer gleichzeitigen Entsiegelung in Anspruch genommen werden darf."
In den Augen der SPD ist Frage der zusätzlichen Versiegelung von Flächen vom Land mit einer Obergrenze versehen, die man als sinnvoll ansieht. Ortskerne seien zu beleben, aber "ein attraktiver Landkreis wird nicht ohne jegliche Neubauprojekte funktionieren". Warum das so sein soll, wie hier priorisiert wird, wie vielleicht durch Förderung eine gezielte Lenkung erfolgen sollte, wird nicht gesagt. Bei der CDU ist eine deutliche Zurückhaltung gegenüber der Ausweitung von Naturschutzflächen zu spüren: "Wo es Sinn macht, ist die Ausweitung von Naturschutzflächen das höchste Instrument zum Schutz unserer Umwelt. (...) Punktuelle Erweiterungen (...) müssen geprüft werden." So klingt keine Vorrangpolitik des Naturschutzes gegenüber Wachstumswünschen von Gewerbe und Wohnungsbau. Die CDU-Haltung zum Grundwasserschutz ist ausweichend: "Wenn es technologisch möglich ist, Brauchwasser anstatt Trinkwasser für nicht-lebensmittelrelevante Zwecke zu verwenden, befürwortet die CDU dies."
Gesundheit
Der Förderkreis fragte: "Vertreten Sie eher einen zentralistischen oder einen dezentralen Ansatz in der Gesundheitsversorgung?" Und erhält von der CDU als Antwort: "Wir fördern und fordern die gute medizinische Versorgung für alle Menschen im Landkreis, egal wo sie wohnen." Was könnten denn die spezifischen Bedürfnisse kranker und älterer Menschen in Oberhessen sein? Dazu wird von der CDU nichts gesagt.
Die nächste Frage lautete: "Wie denken Sie über Fördermaßnahmen für Nachwuchs-Landärzte?" Die SPD bleibt im Ungefähren und verweist auf die Arbeit der Ersten Kreisbeigeordneten. Die habe sich "mit dem Verein Oberhessen projektbezogen um Ärzte bemüht". Das wolle man ausbauen. Die Freien Wähler stehen für "Dezentrale Vorhaltung der Grundversorgung, zentrale Vorhaltung aller Spezialdisziplinen" bei der Gesundheitsvorsorge. Die gezielte Förderung von Landarzt-Nachwuchs soll diese Struktur unterstützen.
Arbeit
Der Förderkreis wollte wissen: "Die Bürger Oberhessens arbeiten vielfach im Rhein-Main-Gebiet. Welche Rolle und Bedeutung messen Sie der Versorgung mit Internet-Bandbreite bei?" Alle Parteien fordern den raschen Ausbau des Glasfasernetzes mit hohen Bandbreiten. Die SPD hält fest: "Im Jahr 2019 war der Wetteraukreis unter den TOP 10 der bestversorgten Kreise in Deutschland: 99 Prozent der Haushalte mindestens 50 mBit/s, 91 Prozent mindestens 100 mBit/s, 77 Prozent mindestens 200 mBit/s. (...) Durch den Beitritt zur Gigabitregion wird der Ausbau zusätzlich beschleunigt."
Die CDU verweist auf die Maßnahmen der schwarz-grünen Landesregierung. Außerdem habe der Kreis "mit dem Regionalverband FrankfurtRheinMain die Gigabitregion-GmbH gegründet. Diese Gesellschaft wird, wo bis 2030 kein markgetriebener Glasfaserausbau in die Haushalte zu erwarten ist, einen geförderten Ausbau mit den Städten und Gemeinden im gesamten Wetteraukreis umsetzen". Auch die Grünen beziehen sich auf die Ziele der Gigabitregion: "Anschluss von 100 Prozent Gewerbe bis 2025, 90 Prozent der Haushalte bis 2030. Ist uns zu lahm. Wir wollen hier eine andere Dynamik."
Bildung
In Sachen Bildung will die SPD für den "Erhalt der kleinen Grundschulen in Oberhessen" und für die "Stärkung der Berufsschulstandorte in Nidda und Büdingen" stehen. Der Förderkreis wollte wissen: "Haben Sie Ideen für zusätzliche frühkindliche und außerschulische Bildungsangebote?" Die CDU antwortet eher allgemein: "Grundsätzlich finden auch Träger außerschulischer Bildung unsere Unterstützung. Hier seien beispielhaft die Musikschulen oder Jugendkunstschulen genannt." Originell fand der Förderkreis die Grünen. Sie plädieren für "flächendeckende Ferienakademien in den Schulen".
Gefragt wurde zudem: "Welche Schwerpunkte setzen Sie in der Weiterentwicklung der oberhessischen Schulen?" Dies schien in der Breite kein großes Sorgenthema zu sein. Die vorliegenden Investitionspläne werden allgemein als substanziell eingestuft. Die Freien Wähler meinen: "Digitalisierung muss höchste Priorität vor allem anderen haben."
Kultur
Dazu fragte der Förderkreis: "Was wollen Sie an bisher nicht vorhandener Unterstützung des Kultursektors zukünftig in Oberhessen auf die Schiene bringen?" Wie die SPD verweist auch die CDU vor allem auf zurückliegende Errungenschaften ihrer Regierungskoalition auf Kreisebene. Neues und vor allem Neues für Oberhessen wird nicht vorgebracht. Als Idee für eine kulturelle Initiative stellen die Grünen folgenden Vorschlag in den Raum: "Neben der Keltenwelt am Glauberg ist ein weiteres Highlight für die archäologisch wertvolle Wetterau denkbar, z.B. von den Römern bis in die frühe Neuzeit." Außerdem fiel der Vorschlag der Freien Wähler auf, die "Kunst am Bau" bei öffentlichen Gebäuden verpflichtend wiedereinzuführen.
Zum Autor: Dr. André Hülsbömer, Neuwinzer sowie Betreiber und Besitzer des Auenlandhofs aus Dauernheim, ist Vorstandsmitglied im Förderkreis Oberhessen.