Exkursion der Qualifizierungsmaßnahme zeigt positive Beispiele der Entwicklung von Ortskernen auf
Wer täglich durch seinen Ort geht, gewöhnt sich daran, dass immer mehr alte Höfe leer stehen, registriert leere Busse, wundert sich eines Tages, dass der kleine Laden vor Ort schließt. Die Entwicklung auf dem Land ist schleichend, aber deutlich.
Von Myriam Lenz
Lokalredakteurin Kreis-Anzeiger
Bestes Beispiel für eine gelungene Ortsinnenentwicklung: Die neue Dorfmitte in Hainchen mit Dorfgemeinschaftshaus, Seniorenheim und Dorfladen. Foto: Lenz
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
WETTERAUKREIS - Wer täglich durch seinen Ort geht, gewöhnt sich daran, dass immer mehr alte Höfe leer stehen, registriert leere Busse, wundert sich eines Tages, dass der kleine Laden vor Ort schließt. Die Entwicklung auf dem Land ist schleichend, aber deutlich.
Die Teilnehmer der Qualifizierungsmaßnahme "Dorf und Du" waren bei einer Exkursion durch die Wetterau aufgefordert, sich auf das Machbare zu konzentrieren. Wie möchte ich in zehn oder 20 Jahren leben? Welche Perspektiven gibt es, trotz demografischen Wandels einen kleinen Ort lebenswert zu erhalten? Es gibt einige gute Beispiele für eine positive Ortsinnenentwicklung. Projektleiter Otfried Herling, Caroline Seibert und Dr. Andrea Soboth vom Institut für Regionalmanagement (IfR) begleiteten etwa 20 Teilnehmer quer durch die Wetterau.
Die Reise führte unter anderem nach Rockenberg, wo Bauamtsleiter Wolfgang Witzenberger über eine Vorkaufsrechtssatzung der Gemeinde als planerisches und rechtliches Instrument informierte. Diese sollte für die Gemeinde die Voraussetzung schaffen, wichtige Flächen im Ortsinnenbereich kaufen zu können. Die Planungshoheit der Kommunen sei nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht, betonte Witzenberger. Auch wenn die Umsetzung manchmal schwierig und von Diskussionen begleitet sei, müsse man sich dem Konflikt stellen, sofern man die Dorfentwicklung ernst nehme.
HINTERGRUND
Die Qualifizierungsmaßnahme "Dorf und Du - Kommunen innovativ" ist Teil eines Förderprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. 17 Kommunen in der Region Wetterau/Oberhessen wollen die Innenentwicklung und damit die Attraktivität ihrer Dörfer stärken. Im Vorhaben "Dorf und Du" kooperieren sie dafür mit der Universität Gießen. Ziel des Vorhabens ist es, die Ortsinnenentwicklung in der Region zur strategischen Daueraufgabe zu machen - und dies örtlich, lokal und regional. Hierbei gilt es, die Nähe zum Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main zu berücksichtigen. In den Modellkommunen Butzbach, Nidda und Ortenberg werden jeweils eine Kommunalstrategie erarbeitet, die wiederum Basis für die Regionalstrategie Ortsinnenentwicklung sind. (myl)
Ein sogenanntes Leuchtturmprojekt entstand in den vergangenen Jahren in Hainchen. Die Bertelsmann-Stiftung hatte 2008 der Gemeinde einen Rückgang der Einwohner um sieben bis acht Prozent vorausgesagt. "Das wollten wir so nicht hinnehmen", erklärte Bürgermeister Adolf Ludwig. 2010 hatte die Gemeinde in Zusammenarbeit mit der Universität Gießen ein regionales Entwicklungskonzept entworfen. Seitdem ist viel passiert. Drei Säulen prägen heute den belebten Ortskern: das neu sanierte Dorfgemeinschaftshaus, die Senioren-Dependance und der Dorfladen, geführt vom Diakonischen Werk Wetterau.
Das Seniorenheim ist mithilfe eines Programms des Innenministeriums und durch die Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden Ronneburg, Hammersbach und Neuberg entstanden. Nach und nach wurden vier kleine, mit nur 35 bis 40 Zimmern ausgestattete Alten- und Pflegehäuser in jeweils einem Ortskern gebaut. Eine Verwaltung kümmert sich um die vier Einrichtungen. Der Gedanke: Senioren wollen solange wie möglich selbstständig und vor allem in Ortsnähe wohnen bleiben. Durch das Modellprojekt und die interkommunale Zusammenarbeit über zwei Landkreise konnte die knapp 6000 Einwohner starke Gemeinde dem Wunsch der Senioren Rechnung tragen.
Die Räume des angrenzenden Dorfgemeinschaftshauses werden nicht nur von Vereinen, sondern auch von den Bewohnern des Seniorenzentrums genutzt. Das Dorfgemeinschaftshaus wurde behindertengerecht ausgebaut und mit einem Aufzug versehen. Die sanitären Anlagen liegen außerhalb des Gebäudes, sind frei zugänglich.
Das hat auch den Vorteil, dass der naheliegende Dorfladen die Auflagen für ein kleines Café erfüllt. Denn der Dorfladen dient nicht nur der Nahversorgung. Er ist gleichzeitig Begegnungsstätte und bietet eine Beschäftigungsmöglichkeit für Menschen mit psychischen Erkrankungen und seelischen Behinderungen.
Die stellvertretende Leiterin Anni Rahn-Walaschewski erläuterte die Hintergründe. Die Größe eines Ortes sei nicht entscheidend, wichtig sei, dass die Dorfgemeinschaft diesen Laden wolle und auch dort einkaufe. Der Dorfladen hat vormittags und zweimal im Monat nachmittags geöffnet. In den Regalen finden die Kunden die wichtigsten Lebensmittel. Das Sortiment ist umfangreich: Backwaren, Molkereiprodukte, frisches Obst und Gemüse und viel mehr findet sich dort. Wo sonst fünf Marken liegen, gibt es im Dorfladen eben nur zwei. "Gewinn ist nicht zu erwarten", verdeutlichte der Rathauschef. Die Gemeinde unterstützt jedoch das Projekt. Die ersten zweieinhalb Jahre waren für den sozialen Träger kostenfrei, jetzt ist eine geringe Miete fällig. Für einen Dorfladen gibt es mehrere Varianten. Ein Genossenschaftsmodell, in das Bürger Einlagen investieren und dafür einkaufen, erscheint für Anni Rahn-Walaschewski ebenfalls attraktiv und könne helfen, eine breite Kundschaft aufzubauen. Ein beeindruckendes Beispiel für den Ausbau einer alten Scheune konnten die Teilnehmer in Reichelsheim begutachten. Die Genuss-Scheune in Weckesheim von Patricia Stähler-Plano und Peter Stähler ist ein "Zuhause-Restaurant" und ein beliebter Veranstaltungsort. Mit großer Hingabe hatten sie die Scheune aus dem Jahr 1425 umgebaut und bieten dort eine bereits mehrfach ausgezeichnete Küche an, bei der saisonale und heimische Lebensmittel ganz oben auf der Einkaufsliste stehen. Die frühzeitige Einbeziehung der Behörden und Information aller Beteiligten hatten den Weg für die Wiederbelebung des Kultur-Einzeldenkmals geebnet.
Über Bleichenbach (siehe Bericht auf dieser Seite) ging die Reise weiter in den Butzbacher Ortsteil Ostheim. Dort wurden zwei heruntergewirtschaftete Gebäude durch einen gelungenen, sich in den Ortskern einfügenden Neubau ersetzt. Somit wurde einem Leerstand vorgebeugt.
Potenzieller Leerstand in den Ortskernen sei ein wichtiges Thema der kommenden Jahre, betonte Projektleiter Otfried Herling, der engagiert und mit viel Fachwissen durch die Exkursion führte. Die Kommunen stünden vor der Herausforderung, sich für die Zukunft aufzustellen. Die Verbundenheit der hier lebenden Menschen mit ihrer Region sei groß. Die zentrale Lage nah am Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main berge vielfältige Entwicklungschancen.