Ein Aufruf: „Guck mal hin!“

Weckler mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern. Foto: Schnelzer
WETTERAUKREIS - (red). Der Frauen-Notruf Wetterau wird 30 Jahre alt. Weil Kunst dort beginnt, wo Worte nicht mehr genügen, haben sich für dieses Jubiläum zehn regionale Künstlerinnen und ein Künstler bereiterklärt, dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ Ausdruck zu verleihen. Entstanden ist eine besondere Ausstellung, die Landrat Jan Weckler am Montag im Kreishaus in Friedberg eröffnete. Zu sehen ist sie bis zum 28. September.
„Die Bilder, Skulpturen und Installationen sind ein Hingucker, sie sensibilisieren für das Thema Gewalt gegen Frauen, sie wirken verstörend und sind ein Aufruf: Guck mal hin!“, sagte Landrat Jan Weckler bei der Eröffnung der Ausstellung. Gewalt gegen Frauen sei immer noch ein Tabuthema und der Frauen-Notruf eine Beratungsstelle, „die es eigentlich nicht geben sollte“. Weckler lobte die Gründerinnen des Vereins, die für ihren Mut, das Thema aufzugreifen, vielen Anfeindungen ausgesetzt gewesen seien.
Ein Hingucker beim Betreten des Kreishauses sei das Bild „Was bist du wert?“ von Malaika Mack. Bei der Frage, welches Motiv für diese Ausstellung das richtige wäre, bekam sie den entscheidenden Tipp von einer Freundin, die täglich mit Gewaltopfern arbeitet. „Sie erzählte mir eine Geschichte darüber, wie die Jungfräulichkeit von Frauen und Mädchen für den Preis dreier Monatsgehälter von Familienmitgliedern verkauft wurde. Damit hatte ich mein Motiv. Immer wieder, während ich das Bild skizzierte, zeichnete, malte, kam mir die gleiche Frage: Was ist man eigentlich wert?“, berichtete die Künstlerin.
Die Bilder drücken Wut aus, Betroffenheit, Bestürzung, Trauer, aber auch Hoffnung und Rückkehr ins Leben. Wut über Frauenmorde, Betroffenheit über die lebenslangen körperlichen und seelischen Leiden von Vergewaltigungsopfern, Trauer über muslimische Frauen, die ihr Zuhause nicht verlassen dürfen oder die Opfer eines Ehrenmordes werden. Renate Fleischer Neumann vom Vorstand des Vereins rief die rund einhundert Besucher dazu auf, die Bilder achtsam auf sich wirken zu lassen. „Die Ausstellung möchte auf das vielfach noch tabuisierte Thema aufmerksam machen und dafür sensibilisieren. Denn Gewalt gegen Frauen geschieht mitten in unserer Gesellschaft.“
Die Wiege des Frauen-Notrufs steht im Frauenzentrum in Friedberg. 1988 fassten dort engagierte Frauen den Entschluss, eine Fachberatungsstelle für Frauen und Mädchen zu gründen, die sexualisierte, körperliche oder psychische Gewalt erleben oder erlebt haben. Im östlichen Kreisgebiet gab es damals keine frauenspezifischen Angebote, und so entschieden sich die Gründungsfrauen bewusst für den östlichen Wetteraukreis als Standort. Im ersten Jahr gab es noch keine eigenen Vereinsräume, Beratungen wurden im Frauenzentrum abgehalten oder in Privaträumen. Der Kontakt wurde über private Telefone der Gründerinnen hergestellt. Anfeindungen habe es in dieser Zeit viele gegeben, berichten diese: zerstochene Autoreifen, Kratzer im Lack seien nur einige Beispiele. Im Ausstellungskatalog steht über diese Zeit: „Immer wieder bekamen sie von politischer Seite zu hören: ‚Hier auf dem Lande gibt es das Gewaltproblem gegen Frauen doch gar nicht, das passiert doch nur in großen Städten, hier soll doch wohl nur ein Wasserkopf hochgezogen werden.‘“
Mehr zur Geschichte des Frauen-Notrufs, den Beweggründen, Gedanken und Überlegungen der ausstellenden Künstlern zu ihren Objekten, gibt es im Katalog. Er liegt im Kreishaus gegen eine Spende für den Frauen-Notruf aus.
Die Ausstellung, die im Oktober auch in der Verwaltung in Büdingen zu sehen sein wird, kann während der Öffnungszeiten besucht werden: montags bis mittwochs, von 7.30 bis 16 Uhr, donnerstags bis 18 Uhr und freitags bis 12.30 Uhr.