Freitag,
10.02.2017 - 00:00
5 min
Wegtreten, Genossin Schneidt!
Von Björn Leo
BÜDINGEN - Versteckt hat sie die Hinweise freilich nicht. „Viele sind ebenso wie ich aktives Mitglied in der SPD, sodass wir uns auch auf kommunalpolitischer Ebene bemühen, gute Voraussetzungen für die in unserer Stadt lebenden Flüchtlinge zu schaffen.“ Das steht im ersten Kapitel auf Seite 9. Für Katja Schneidt sei das Buch „Wir schaffen es nicht“, mit dem es die 46-Jährige abermals in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat, eines der schwersten gewesen. Dass sie ihre Erfahrungen aus der Arbeit mit Flüchtlingen öffentlich bespricht, findet zweifelsohne Zuspruch. In Büdingen ist das mit der Begeisterung für Katja Schneidt aber so eine Sache. Großes Engagement und zuweilen Dominanz bescheinigt ihr Dieter Egner in der Flüchtlingshilfe. Die Sozialdemokraten, deren Mitglied die Autorin seit 1. Januar 2016 ist, sind indes alles andere als glücklich mit der Frau. Die Inhalte ihrer Bücher sind dem Gros der SPD ein Dorn im Auge – zu kritisch, zu überzogen, zu populistisch, zu fremdenfeindlich.
Und jetzt das: Katja Schneidt soll kein SPD-Mitglied mehr sein. Manfred Scheid-Varisco, einer der beiden Fraktionsvorsitzenden, feiert die Nachricht im Internet. „Natürlich freue ich mich nicht, wenn wir Mitglieder verlieren. Frau Schneidt ist allerdings kein Verlust für die Büdinger SPD. Meiner Meinung nach ist ihr Populismus nicht mit den Werten der SPD vereinbar“, schreibt er bei Facebook. Was nach dem Ende einer scheinbar unscheinbaren Liaison ausschaut, entpuppt sich als Versatzstück des kommunalpolitischen Alltags eines Ortsvereins auf der Suche nach frischem Wind, neuem Personal und Profil.
Katja Schneidt klingt am Telefon verschnupft. Sie fühle sich nach wie vor als SPD-Mitglied. Vergangene Woche habe sie Post erhalten, sich doch bitte für Martin Schulz als Kanzler einzusetzen. Vor zwei Tagen sei sie zu einer Parteiveranstaltung eingeladen worden. Dass sie inzwischen – formal – die falsche Adressatin ist, erklärt Christian Dietzel. Der Geschäftsführer der Wetterauer SPD: „Die Nichtzahlung des Mitgliedsbeitrages gilt satzungsgemäß nach zweimaliger Aufforderung inklusive Mahnung als Austritt. So einfach ist das.“ Fünf Euro im Monat, 60 im Jahr – selbst nach mehreren Telefonaten mit ihr und nach Rücksprache mit Carola Siemon, der Kassiererin des Büdinger Ortsvereins, die ebenfalls mit Schneidt in Kontakt stünde, sei bis dato keine Zahlung erfolgt. Ergo: In der Riege der knapp 2900 Mitglieder, die der SPD-Unterbezirk in der Wetterau hat, wird der Status Katja Schneidts jetzt als „Streichung“ geführt. „Wir sind ein soziales Unternehmen. In unserer Partei kann jeder mitmachen. Selbst wenn jemand ein halbes Jahr keinen Beitrag gezahlt hat, drücken wir ein Auge zu. Wir müssen aber nicht jeden nehmen“, sagt der Geschäftsführer mit Blick auf die Büdingerin. Manfred Scheid-Varisco bestätigt das. Der Mann, der in Bezug auf die Frau von einer offenen Feindschaft spricht, sagt im Gespräch mit dem Kreis-Anzeiger: „Wir haben von ihr drei Bankverbindungen erhalten. Von keiner ließ sich ein Einzug vornehmen.“
Katja Schneidt führt ein geändertes Abbuchungskonto, unglückliche Kommunikation, Mails, die im Spamordner ihres Computers gelandet seien, und gesundheitliche Gründe an, warum es lange Zeit nicht zu einer Abbuchung habe kommen können. „Mein Lebensgefährte hat die 60 Euro aber kürzlich überwiesen.“ Bislang sei jede Antwort ausgeblieben. Die SPD habe sie um Unterstützung im Wahlkampf gebeten. Dass sie kein Mitglied mehr sein soll, darüber sei sie nicht informiert worden.
Der Fall Katja Schneidt fördert jedoch mehr ans Tageslicht als nur ein säumiges Mitglied. Die Büdinger SPD ist im Herbst 2015 auf der Suche nach neuen Gesichtern bei einer Frau fündig geworden, die schon mehrere Bücher geschrieben hat, in denen sie sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzt. Schon damals scheute sie nicht davor zurück, Fehler und Probleme zu benennen. Hinsichtlich der Flüchtlingspolitik weist sie bis heute auf die ihrer Meinung nach gravierenden Missstände hin – gerne auch vor TV-Kameras. „Ich war politisch überhaupt nicht aktiv, habe mich auch nicht mit Programmen der Parteien auseinandergesetzt. Mir war die Arbeit mit dem Einzelnen vor Ort stets wichtiger“, sagt Katja Schneidt in der Rückschau.
Heidi Schlösser, die heute mit Manfred Scheid-Varisco die SPD-Fraktion führt, war es, die Schneidt der Parteispitze vorstellte. „Ja, sie hat mir imponiert“, sagt Schlösser, die Schneidt bei einem Vortrag erlebt hatte. Es sei zu einem Treffen gekommen, an dem neben Schlösser der damalige Erste Stadtrat Manfred Hix und der frühere SPD-Vorsitzende Bernd Friedl im Gespräch mit Katja Schneidt ausgelotet hätten, ob ein Engagement Sinn machen könnte.
Die Dinge nahmen ihren Lauf. Katja Schneidt trat der SPD bei und bekam einen Platz auf der Kandidatenliste zur Kommunalwahl. Eine Debatte um ihre Person, wie man sie beispielsweise bei Udo Stern, der in der gleichen Zeit bei den Büdinger Genossen vorstellig geworden ist, geführt hatte, fand nicht statt. Heidi Schlösser versucht es diplomatisch: „Uns war das Ausmaß ihres Bekanntheitsgrades gar nicht bewusst.“ Stadtrat Horst Diefenbach, der 2015/16 als Spitzenkandidat für die SPD ins Rennen ging, ist gewohnt direkt. „Du großer Gott, wen haben wir uns denn da eingefangen?“, sei eine etwas zugespitzte Formulierung, die die damalige Situation aber ziemlich treffend beschreibe. Fakt ist: Schneidts Bücher kannte kaum einer. Gedanken darüber, ob sie mit ihrem Hintergrund dem Image der SPD schaden könnte, hat sich niemand gemacht. Mehrere Sozialdemokraten, die sich namentlich lieber nicht äußern wollen, sagen über diese Zeit: „Eine namhafte Autorin in den eigenen Reihen, das hat einigen Entscheidungsträgern ausgereicht. Damit haben sich viele schmücken wollen.“
Aber: Katja Schneidt war in der Folge nie aktiv in der SPD. Dass sie ausländerfeindlich sei oder gegen Flüchtlinge kann Dieter Egner nicht bestätigen. Der Gründer der Ehrenamtsagentur, der mit einigen Mitstreitern 2014 den Arbeitskreis „Neue Nachbarn – Hilfe für Flüchtlinge“ ins Leben gerufen hat, sagt: „Dass sie sich zuweilen kritisch über muslimische Männer äußert, wenn es angebracht ist, macht Sinn, denn sie kann von Erfahrungen berichten, die die meisten in unserem Helferkreis nicht gemacht haben.“ Es sei laut Egner – ebenfalls in der SPD – wichtig, kontrovers zu diskutieren, auch in der Flüchtlingshilfe. „Entscheidend ist das Ziel: ein friedliches, nachbarschaftliches Miteinander mit diesen Menschen in unserem Land zu erreichen. Und das möchte Katja Schneidt.“
Die Fragen, die sich die ungeliebte Genossin jedoch stellen muss: Warum bezeichnet sie sich in ihrem jüngsten Buch als aktives SPD-Mitglied? Und warum wird im Klappentext explizit auf ihre kommunalpolitische Tätigkeit hingewiesen, die es nicht gab? Heidi Schlösser nennt das „unaufrichtig“, Manfred Scheid-Varisco sieht einen Zusammenhang mit der Vermarktung ihres Buches. Die Autorin erklärt, Titel, Klappentext und das Kurzporträt über ihre Person seien Sache des Verlags. Da habe sie keinen Einfluss. „Wie hier aber einige versuchen, mich loszuwerden, ist echt krass. Da wird ein Bild von mir gezeichnet, das nicht stimmt. Das verletzt mich sehr.“
Martin Schulz als Bundeskanzler könne sich Katja Schneidt im Übrigen gut vorstellen. „Er gibt den Menschen in unserem Land wieder das Vertrauen in die Politik zurück. Er wäre definitiv der bessere Kanzler als Frau Merkel.“ Der Bitte der SPD, sich doch für Schulz einzusetzen, kommt sie jedenfalls nach...