In einer Woche wird im Heuson-Museum die Sonderausstellung "Hexenwahn und Teufelsglaube" eröffnet. Auf Anregung des Vorsitzenden des Geschichtsvereins, Joachim Cott, bringt das Theater "Theodobo" am Freitag, 7. Juli, das Stück "Ist denn da niemand, der mich hört?" zur Aufführung. Das "Theater aus Fragmenten" besteht aus Spielszenen, die sich mit Leben und Wirken des Birsteiner Hofpredigers Anton Praetorius und mit dem Hexenprozess gegen vier Frauen aus Rinderbügen im Jahr 1597 befassen. Der Kreis-Anzeiger hat mit Sylvia Oster und Gerd Ungermann über Anton Praetorius, eine Gedenktafel für 239 Frauen, die in Büdingen als Hexen verfolgt worden sind, sowie Parallelen zwischen damals und heute gesprochen.
Von Elke Kaltenschnee
Sylvia Oster und Gerd Ungermann vor geschichtsträchtiger Kulisse. Im Hintergrund ist der Hexenturm zu erkennen. "Mir ist wichtig, dass die Hexenverfolgung in Büdingen als Thema aufgegriffen wird und auf der Tagesordnung bleibt", sagt Sylvia Oster im Interview. Foto: Kaltenschnee
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BÜDINGEN - Büdingen. In einer Woche wird im Heuson-Museum die Sonderausstellung "Hexenwahn und Teufelsglaube" eröffnet. Auf Anregung des Vorsitzenden des Geschichtsvereins, Joachim Cott, bringt das Theater "TheodoBo" am Freitag, 7. Juli, das Stück "Ist denn da niemand, der mich hört?" zur Aufführung. Das "Theater aus Fragmenten" besteht aus Spielszenen, die sich mit Leben und Wirken des Birsteiner Hofpredigers Anton Praetorius und mit dem Hexenprozess gegen vier Frauen aus Rinderbügen im Jahr 1597 befassen. Der Kreis-Anzeiger hat mit Sylvia Oster und Gerd Ungermann über Anton Praetorius, eine Gedenktafel für 239 Frauen, die in Büdingen als Hexen verfolgt worden sind, sowie Parallelen zwischen damals und heute gesprochen.
Warum haben Sie sich der historischen Person Anton Praetorius und der Hexenverfolgung angenommen?
Oster: Das Thema Hexen ist wichtig für Büdingen. Thedobo hat bereits 2001 zu diesem Thema eine Theaterszene im Bollwerk gespielt, die einen fiktiven Hexenprozess zum Inhalt hatte. Später hat der Theaterverein, in dem ich mich auch engagiere, die Hexenverfolgung aufgegriffen und eine Führung hierzu angeboten. Seit 2011 gibt es die "Theodobo"-Themenführung, in der eine Büdingerin, Katharina Wagner, und Anton Praetorius zu Wort kommen. Mir ist wichtig, dass die Hexenverfolgung in Büdingen als Thema aufgegriffen wird und auf der Tagesordnung bleibt.
Ungermann: Wir sind dabei mit unseren Produktionen vom Allgemeinen zum Konkreten gegangen. Vom fiktiven Hexenprozess hin zu der historischen Person des Anton Praetorius, der zuerst ein Befürworter der Hexenprozesse war. Mit dem Prozess 1597 wurde er zum entschiedenen Gegner.
INFOS
Auf Initiative von Joachim Cott, dem Vorsitzenden des Büdinger Geschichtsvereins, bringt das Theater ohne doppelten Boden ("TheodoBo") am Freitag, 7. Juli, das Stück "Ist denn da niemand, der mich hört?" im Sitzungssaal des Heuson-Museums (Historisches Rathaus) zur Aufführung. Beginn ist um 19 Uhr. Bereits am 24. Juni wird die Sonderausstellung "Hexenwahn und Teufelsglaube" im Museum eröffnet.
(elk)
Wie haben Sie sich dem Thema angenähert?
Ungermann: Wir haben das Stück bereits 2013 anlässlich des 400. Todestages von Anton Praetorius und einer Ausstellung über ihn im Heuson-Museum entwickelt. Der evangelische Pfarrer Harmut Hegeler aus Unna hat sich intensiv mit Anton Praetorius befasst. Dessen Werke waren unsere Hauptquelle für die Erarbeitung eines Stücks. Anders als bei unserer Themenführung "Hexenwerk und Hexenwahn" betten wir das Thema in einen modernen Rahmen. Wir arbeiten mit Bildern und Theaterfragmenten.
Was heißt das: Fragmente und Bilder?
Ungermann: Wir wollen den Zuschauern die düstere Atmosphäre der Zeit der Hexenverfolgung vermitteln. Deshalb sind wir in einer Szene verhüllt, laufen durch das Publikum und zitieren aus den Schriften von Anton Praetorius. Es gibt eine Szene, die den Hofprediger im Gespräch mit seiner Frau zum Inhalt hat. Eine andere Szene dreht sich um seine Hochzeit. Außerdem haben wir den Hexenprozess im Jahr 1597 gegen die vier Frauen aus Rinderbügen in das Stück eingearbeitet. Anton Praetorius hat versucht, die Hinrichtung der Frauen zu stoppen. Dazu wird es zeitgenössische Musik aus dem evangelischen Gesangbuch geben.
Wie war es für Sie, das Stück über Anton Praetorius zu erarbeiten, sich mit dieser historischen Person zu befassen?
Ungermann: Total spannend. Praetorius war wohl ein sehr ernsthafter, gläubiger Mann. Dieser Hexenprozess, dem er als Mitglied des Gerichts beiwohnte, hat ihn verändert. Er wurde zum absoluten Gegner und hat durch seinen Einsatz für die angeklagten Frauen sein Amt als Hofprediger verloren.
Oster: Ich habe mich gefragt, wie ein Mensch so viel Leid und Unglück, wie er es hatte, aushalten kann. Er war viermal verheiratet. Drei seiner Frauen starben früh, eine nur zwölf Tage nach der Hochzeit. Eine Verlobte starb noch vor der Hochzeit. Von elf Kindern überlebte nur sein erstgeborener Sohn, doch Praetorius überlebte auch diesen Sohn. Sehr tragisch.
Was bedeutet es für Sie persönlich, sich mit den Hexenprozessen, dem Tod unschuldiger Frauen zu befassen?
Oster: In der Grafschaft Büdingen sind 485 Frauen als Hexen diffamiert und ermordet worden, in Büdingen selbst waren es 239 Frauen.
Ungermann: Wir waren mit Dr. Decker (Büdinger Historiker, Anm. d. Red.) im Archiv und haben dort die Originalakten dieser Prozesse in der Hand gehabt. Auf den Titelblättern wunderschön verzierte Initialen. Wundervolle handgeschriebene Schriften mit schrecklichem Inhalt. Das war erschütternd. In diesen Akten ist peinlich genau niedergeschrieben, was die Angeklagten gefragt wurden und was sie geantwortet haben. Da sind junge Frauen, Mütter, Töchter ermordet worden.
Oster: Es heißt, in Büdingen sei jedes zweite Haus betroffen gewesen. Die Namen der betroffenen Frauen sind fast alle bekannt. Diese Familien gibt es heute noch in Büdingen.
Ungermann: Ich habe mich überregional mit der Hexenverfolgung befasst und festgestellt, dass der Name Ungermann in Freigericht in den Akten der Hexenprozesse auftaucht. Meine Familie stammt von dort. Mit einem Mal war das Thema für mich persönlich sehr nah.
Besitzen die Hexenprozesse heute noch gesellschaftliche Relevanz? Oder sind sie nur für Historiker von Interesse?
Ungermann: Unwetter, schlechte Ernten, die Folgen des Dreißigjährigen Krieges, Pest, Hunger, Tod bestimmten damals das Leben der Menschen. Ich kann nachvollziehen, dass die Menschen in dieser Situation ein Gefühl der Bedrohung entwickelten. Auch weil für sie nicht begreifbar war, was da passierte. Ein diffuses Bedrohungsgefühl erleben wir heutzutage auch im Zusammenhang mit Terror und Terroranschlägen.
Oster: Im 16. und 17. Jahrhundert wurden Frauen als Hexen angeklagt und zu Tode gebracht. Heutzutage, im Jahr 2017, gibt es immer noch Ehrenmorde, Zwangsehen. Ich möchte so etwas heute hier nicht erleben. Weder in Deutschland noch irgendwo sonst auf der Welt. Ich lebe in einem freiheitlichen, demokratischen Land. Ich finde es ganz schrecklich, dass es im Jahr 2017 so etwas in bei uns gibt. Das ist unerträglich.
Ungermann: Dieser Praetorius hat sich zuerst nicht getraut, zu sagen, was er über ein großes Unrecht, also die Folter, denkt. Er hat ein Buch geschrieben, das er unter dem Namen seines Sohnes veröffentlichte. Er hatte Angst. Unter anderem Angst, sein Amt, seinen Job zu verlieren. Vielleicht auch Angst, dass man ihn als Hexer beschuldigt. Aber irgendwann hat er sich doch getraut, sich gegen Unrecht zu stellen.
Oster: Ich finde es schade, dass es in Büdingen - das bei der Hexenverfolgung so ein eifriges Städtchen war und in dem es so viele Frauen zu Tode gefoltert wurden - keine Gedenkstätte gibt. Nirgendwo steht etwas darüber, nirgendwo wird der Frauen gedacht. Dabei sind doch alle Namen bekannt.
Folter war im 16. und 17. Jahrhundert bei den Prozessen gegen vermeintliche Hexen ein legitimes Mittel...
Oster: Damals waren die Menschen sicher, dass Hexen an Pest, Unwetter, Hungersnot schuld sind. Sein müssen!
Ungermann: Und die Bibel sagt ganz klar: Hexen sollst du nicht am Leben lassen. Von den vier Frauen, denen damals der Prozess gemacht wurde, haben sich zwei umgebracht. Eine, nachdem man ihr die Folterinstrumente gezeigt hatte, und die andere nach einem Tag der Folter.
Oster: In den Hexenprozessen war Folter das Mittel zur Wahrheitsfindung. Praetorius hat das abgelehnt. Er hat gesehen, dass es kein geeignetes Mittel ist. Die Gefolterten wollten nur, dass es endlich vorbei ist, und gestanden Taten, die sie nicht begangen hatten. Das erkannte er in diesem Prozess, während die anderen mit dem Ergebnis der Folter - Geständnis und Tod der Hexe - zufrieden waren.
Gefoltert wird heutzutage immer noch. Denken Sie nur an Syrien...
Ungermann: Die Hexenprozesse, die Anton Praetorius miterlebt hat, fanden nicht im tiefen Mittelalter statt. Das war Neuzeit. Genau 80 Jahre vor dem Hexenprozess - im Jahr 1517 - hat Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen. Vielleicht hat so etwas Unmenschliches wie Folter nichts mit dem Jahrhundert zu tun, in dem es geschieht, sondern mit dem Zustand, in dem sich eine Gesellschaft befindet.
Oster: Folter gibt es immer noch. Nur wird sie nicht mit Hexerei begründet.