Drogenprävention: Theater gastiert an Schule am Dohlberg in Büdingen
Das Theater Requisit gastierte mit einem Suchtpräventionskonzept an der Büdinger Schule am Dohlberg, das bei Schülern angekommen. Auch Lehrer berichteten von ihren Erfahrungen.
Von Oliver Potengowski
Witzig, aber stets mit ernstem Kern: das Theater Requisit. Foto: Potengowski
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BÜDINGEN - Büdingen. Nicht nur in der Großstadt, auch im ländlichen Raum bereiten Suchtprobleme Sorgen. Ein Gastspiel des Improvisationstheaters Requisit an der Schule am Dohlberg sollte die Basis für vertrauensvolle Gespräche der Schüler über ihre Erfahrung legen. Parallel dazu berichteten Lehrer über ihre Beobachtungen und diskutierten mögliche Gegenmaßnahmen.
"Das Theater hat erstmal gar nichts mit Drogen und Sucht zu tun", betont Nora Staeger, Sprecherin der fünfköpfigen Truppe aus Hattersheim, bei der Begrüßung der Realschulklassen der Jahrgangsstufe 8. Sie fordert die Schüler auf, spontan Stichworte zu nennen, aus denen die Schauspieler dann kurze Spielszenen entwickeln.
Immer wieder rufen Schüler vulgäre Wörter. "Puff hat ganz viel mit Sucht zu tun", erläutert Nora Staeger geduldig, warum sie diesen Begriff nicht verwenden wird. "Dildo" akzeptiert sie dagegen. Letztlich sei die Auswahl der Begriffe eine Gratwanderung zwischen Regeln und dem Anspruch, die Schüler das Spiel bestimmen zu lassen.
Weil die Begriffe und Gefühlsbeschreibungen ziemlich wahllos zusammen gewürfelt werden, entwickeln die Schauspieler daraus entsprechend absurde Spielszenen. Sie handeln von einem Mann, der sich im Kaufhaus einschließen lassen und im Bett im Schaufenster übernachten will. Am nächsten Morgen entdeckt ihn eine Angestellte und er in dieser seine große Liebe.
Eine andere Szene stellt den Konflikt zweier Mütter auf dem Spielplatz dar. Eine will ihren 15-jährigen Sohn nicht in die Selbständigkeit entlassen. Stattdessen behandelt sie ihn wie ein Kleinkind, worauf er prompt in die Hose macht, weil sie vergessen hat, ihm Windeln anzuziehen. So komisch die Schauspieler die Szene entwickeln, hat sie bei aller satirischen Überzeichnung einen ernsten Kern.
Dass die Theatergruppe innerhalb der Regeln konsequent alle genannten Begriffe verarbeitet und sich bei allem Klamauk durchaus auch ernsthafte Szenen entwickeln, dient dazu, eine Vertrauensbasis zu den Schülern zu schaffen. Denn nach dem Theater folgt der Teil des Gastspiels, der eigentlich der Suchtprävention dient.
Die Klassen gehen mit den Schauspielern in ihre Unterrichtsräume. Im Stuhlkreis ohne Lehrer haben sie Gelegenheit, über Sucht oder Erfahrungen mit Drogen zu sprechen, ohne dass ein drohender Zeigefinger erhoben wird. Denn alle Schauspieler von Requisit haben eine besondere Kompetenz. Sie haben eigene Sucht- und Drogenkarrieren hinter sich. Wobei Staeger darauf hinweist, dass die Sucht und weniger die Drogen das Problem sei. Denn Sucht brauche nicht unbedingt Stoffe wie Alkohol, Zigaretten oder andere Drogen.
Die Lehrer, die ihrerseits in einer Gesprächsrunde mit den Schauspielern Nora Staeger und Gerhard Dautzenberg zusammensitzen, zweifeln zunächst, ob die Schüler sich auf persönliche Gespräche mit Fremden einlassen. "Das gibt's ganz, ganz häufig", versichert Staeger. "Die Gespräche werden sehr schnell sehr intensiv." Häufig gebe es im Anschluss noch Einzelgespräche, wenn Schüler ein besonderes privates Thema hätten. "Wenn einer zum Schluss merkt, dass er ein Problem hat, können wir den doch nicht allein lassen und heimfahren."
Einen Weg, wie die Schauspieler außer mit dem Theaterspiel die Vertrauensbasis herstellen, erleben auch die Lehrer. Ziemlich offen berichten Staeger und vor allem Dautzenberg über ihre Suchterfahrungen und vor allem ihren Weg in die Sucht. "Ich habe mit zwölf angefangen, Bier zu trinken", schildert Dautzenberg. Das sei ein schleichender Prozess gewesen. "Als junger Mensch denkst du nicht so weit. Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Suchtproblem habe." Nach dem Bier kamen Tabletten und andere Drogen.
Lehrer Frank Pahl berichtet, dass er bemerkt habe, dass gerade auch in den achten Klassen "irgendwas im Argen" sei. Doch fassen könne er es nicht. "Vielleicht kiffen da welche." Er vermutet an der Schule ein größeres Drogenproblem. "Wir haben alle das Gefühl, dass hier mehr Drogen vercheckt werden als früher." Die Polizei unternehme recht wenig dagegen. "Und wenn die Polizei eingreift, ziehen manche Eltern nicht mit. Ich hatte vor zwei Jahren einen Schüler, der war hoch drauf", erinnert sich Lehrerin Beate Fleischer. Er habe auch Drogen verkauft. "Wir hatten die Polizei regelmäßig im Haus." Doch weil die geschiedenen Eltern zerstritten gewesen seien, hätten keine Maßnahmen gegriffen.
"Diejenigen, die süchtig bleiben, haben ein etwas größeres Loch im Bauch als andere", versucht Nora Staeger zu beschreiben, warum manche nach dem Kontakt mit Drogen in die Sucht abrutschen, andere nicht. Sie fordert die Lehrer auf, Ansprechpartner für ihre Schüler zu sein, zu denen diese Vertrauen haben könnten. Viele erlebten dies zu Hause nicht. Wenn jemand süchtig sei, dürfe man ihn auf keinen Fall mit Geld aus falsch verstandenem Mitleid unterstützen wollen. "Man lebt mit dem Risiko. Entweder er fällt so tief, dass er die Kurve kriegt", beschreibt sie die Gratwanderung, wenn das soziale Umfeld sich zurückzieht. "Es kann aber auch sein, dass er sich eine Überdosis setzt." Wie man als Angehöriger mit einer solchen Gewissensbelastung umgeht, erklärt sie in dem Gespräch nicht.