Das Bündnis für Demokratie und Vielfalt präsentiert heute Abend einen Vortrag unter dem Motto "Die Mitte und der rechte Rand" im Sälchen des Kulturzentrums Oberhof. Beginn ist um 19.30 Uhr. Dr. Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums an der Philipps-Universität Marburg, wird die unterschiedlichen Aspekte des Rechtspopulismus darstellen. Außerdem wird er darlegen, welche Strategien es gibt, die eigene Haltung zu stärken und zu vertreten. Der Kreis-Anzeiger hat im Vorfeld mit dem Referenten gesprochen.
Von Susanne Kleinmann
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
BÜDINGEN - Büdingen. Das Bündnis für Demokratie und Vielfalt präsentiert heute Abend einen Vortrag unter dem Motto "Die Mitte und der rechte Rand" im Sälchen des Kulturzentrums Oberhof. Beginn ist um 19.30 Uhr. Dr. Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums an der Philipps-Universität Marburg, wird die unterschiedlichen Aspekte des Rechtspopulismus darstellen. Außerdem wird er darlegen, welche Strategien es gibt, die eigene Haltung zu stärken und zu vertreten. Der Kreis-Anzeiger hat im Vorfeld mit dem Referenten gesprochen.
Der Rechtspopulismus scheint zur Zeit omnipräsent. Hat sich die Grenze des Sagbaren in den vergangenen Jahren verschoben?
Ich denke ja. Seit dem Sommer 2015 - mit der Aufnahme von Geflüchteten - stellt sich zunehmend durch wiederkehrende und ganz gezielte öffentliche Provokationen durch rechtspopulistische Akteure eine Gewöhnung an harte polarisierende Diskurse ein. Unter dem Motto, "Man wird ja wohl noch sagen dürfen..." wird suggeriert, dass nicht kritisch über gesellschaftspolitische Themen diskutiert werden kann, was bei der Omnipräsenz dieser Positionen in der Öffentlichkeit eigentlich ein Hohn ist.
Welche Rolle spielen dabei die Sozialen Medien?
Die Soziale Medien tragen einen wesentlichen Teil für diese Polarisierung bei. Insbesondere dort findet eine Verrohung der Diskussionskultur statt. Es ist weniger ein Forum des demokratischen Austausches, sondern vielmehr ein marktschreierisches Medium, indem viele Menschen in ihren Echokammern zum Teil sehr enthemmt und in einer sehr harten Sprache höchst emotional agieren. Gleichzeitig nährt sich der Populismus von der öffentlichen Aufmerksamkeit - Soziale Netzwerke sind dafür dann das passende Medium.
ZUR PERSON
Reiner Becker, Jahrgang 1971, ist Leiter des Demokratiezentrums Hessen an der Philipps-Universität Marburg. Er studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie und promovierte zum Thema "Familie und Rechtsextremismus". Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift "Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit". Becker ist verheiratet und Vater von drei Kindern. 2001 gehörte er im mittelhessischen Dillenburg zu den Gründern des Vereins JAKOb, der damals eine offene Jugendarbeit für rechtsaffine Jugendliche entwickelt und angeboten hat. (suk)
Wie hat sich der Ton im Deutschen Bundestag verändert, seitdem die AfD eingezogen ist?
Beobachtet man einzelne Sitzungen des Bundestags, so zeigt sich, dass auch dort der Ton wesentlich rauer geworden ist. Übrigens trifft das auch auf viele hessische Kommunalparlamente zu. Andererseits zeigt sich auch, dass es vielen Abgeordneten gelingt, sich auf einer klar positionierten und sachlichen Ebene mit den Positionen der AfD auseinanderzusetzen. Das ist ein wesentlicher Punkt, denn selbstverständlich müssen die Themen der AfD ernst genommen werden.
Kommen rassistische oder fremdenfeindliche Äußerungen überwiegend vom "rechten Rand" oder sind solche Bemerkungen in der gesamten Gesellschaft präsent?
Aus den unterschiedlichsten Studien seit Anfang der 1980er Jahre wissen wir, dass Vorurteile gegenüber gesellschaftlich schwachen Gruppen, wie zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Islamfeindlichkeit, in weiten Teilen der sogenannten Mitte der Gesellschaft verbreitet sind, ohne dass diese Menschen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild aufweisen. Neu ist, dass durch den Aufstieg des Rechtspopulismus diese Einstellungen eine ganz andere Bindung erfahren, wie es sich an den Wahlurnen, bei Demonstrationen von Pegida oder in den Sozialen Netzwerken gezeigt hat.
Vorurteile und Schubladendenken sind so alt wie die Menschheit. Wie kann man eigene Vorurteile überwinden und abbauen?
In der Tat haben Vorurteile mitunter die Funktion, Klarheit und Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt zu geben. Die Erkenntnis, Vorurteile zu haben, ist sicherlich der erste adäquate Schritt. Dort, wo aus einzelnen Fällen generalisierende Aussagen über ganze Gruppen gemacht werden, gewinnen Vorurteile ihre Kraft und hier zu differenzierten Urteilen zu kommen, ist das wesentliche Ziel für den Abbau von Vorurteilen.
Viele Menschen verstehen gar nicht, welche Ideologien hinter rechtspopulistischen Äußerungen stehen. Wie kann man da Abhilfe schaffen?
Eigentlich ist der Populismus, egal welcher Couleur, keine besonders ideologisch differenzierte Strömung. Er ist antielitär, in dem er zwischen denen "da oben" und denen "da unten" polarisiert, und er beansprucht für sich, die Interessen eines homogen konstruierten Volkes zu vertreten. Dabei müssen Programm und Zielgruppen nicht unbedingt widerspruchsfrei sein, beispielsweise ist das Wirtschaftsprogramm der AfD liberal, gleichzeitig ist die AfD von vielen Menschen einer sogenannten prekären Mitte oder von vielen Arbeitslosen gewählt worden.
Wenn ich eine Haltung gegen rechtspopulistische Meinungsmache entwickelt habe, wie schaffe ich es, diese dann auch konsequent zu vertreten?
Das ist eine Frage, die jeder für sich persönlich beantworten muss. Nur denke ich, dass dieser erste Schritt, eine eigene Haltung zu entwickeln, dabei das Wesentliche ist, denn erst dann kann auch Position bezogen werden. Es ist dabei ein Unterschied, ob ich im privaten Umfeld gegenüber Menschen, die ich vielleicht lange kenne, den Austausch auch über schwierige Fragen suche, denn dabei muss man doch nicht grundsätzlich den Anspruch haben, alle persönlichen Konflikte in politischen Fragen auflösen zu müssen. Anders ist es bei gesellschaftlich relevanten Akteuren, Parteien, Institutionen - für die ist es sehr wichtig, in veränderten Zeiten die eigenen Positionen exakt zu deklinieren. Wichtig ist weiterhin, sich nicht am "gegen..." alleine abzuarbeiten. Die eigene, aber auch die institutionelle Haltung sollte vielmehr deutlich machen, "wofür" Position bezogen wird.
Sie sind mit Ihrem Demokratiezentrum dem Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Marburg angegliedert. Das ist ungewöhnlich und bundesweit einmalig. Worauf liegt der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Unser Schwerpunkt liegt in der Bündelung bestehender und Konzeptionierung neuer Angebote in der Beratung, Prävention und in der Vernetzung. Die tatsächlich einmalige Anbindung an eine Uni bietet die Möglichkeit, viele dieser Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu bearbeiten, zum Beispiel in der Entwicklung von Konzepten oder in Form von Publikationen.