INFOS
Das Motto lässt keine zweite Meinung zu: Schläfst Du noch oder lebst Du schon? Der Verein "Demokratie leben" und Eva Ettingshausen von der Koordinierungs- und Fachstelle östliche Wetterau weisen auf die nächste Demokratie-Konferenz in Büdingen hin. Sie findet am heutigen Samstag, 27. Januar, von 18 bis 22 Uhr in der Willi-Zinnkann-Halle statt.
Ettingshausen und Dr. Udo Stern, stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins "Demokratie leben", sagen: "Die Zeiten für die Demokratie sind bewegt - man denke nur an Erdogan, Trump, Kim Jong Un oder Orban. Gesellschaftlich ist viel in Bewegung geraten, populistische Strömungen und menschenverachtendes Gedankengut nehmen zu. Das Klima ist bisweilen rau, Hetze - nicht nur in sozialen Netzwerken - tritt offen zu Tage, bislang selbstverständlich geltende Werte werden infrage gestellt." Die Demokratie-Konferenz will diese Entwicklungen thematisieren und Anstöße geben. Es geht unter anderem darum, wie gemeinsame Projekte das Zusammenleben und demokratische Werte in Zukunft stärken können. Gäste erfahren, wie Projekte beantragt und umgesetzt werden können. Zudem werden sie den Abend mitgestalten.
Im zweiten Teil wird Esther Bejarano aus ihrem Leben erzählen. Nach der Lesung tritt die Rap-Band Microphone Mafia auf. Die Veranstaltung ist öffentlich und setzt auf Bürgerbeteiligung. (suk)
ALTENSTADT/BÜDINGEN - Altenstadt/büdingen. Immer wieder laden Schulen Zeitzeugen ein, die jungen Leuten von ihren schrecklichen Erlebnissen im Dritten Reich berichten. Eine besondere Begegnung fand am Freitag in Altenstadt statt. Die Limesschule hatte Esther Bejarano zu Gast, die als junge Frau im Mädchenorchester von Auschwitz mitgewirkt hat. In der Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe trat sie gemeinsam mit der Microphone Mafia, einer deutsch-türkisch-italienischen Rap-Gruppe aus Köln auf. Eine ungewöhnliche Performance für eine Frau, die immerhin schon 93 Jahre alt ist. Der Kreis-Anzeiger hat sich mit Esther Bejarano über die Musik, die in ihrem Leben stets von großer Bedeutung war, unterhalten.
Sie treten gemeinsam mit der Microphone Mafia auf. Eine ungewöhnliche Formation. Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen Ihnen?
Kutlu Yurtseven rief mich an und sagte: "Hier ist Kutlu von der Microphone Mafia." Ich antwortete ihm: "Was habe ich mit der Mafia zu schaffen?" Doch die Sache mit dem Namen klärte sich schnell auf, und die Idee, gemeinsam mit einer Rap-Band an Schulen zu gehen, um dort Musik zu machen, gefiel mir. Ich sage immer, das ist meine späte Rache an den Nazis.
Können Sie junge Menschen erreichen, mit dem was Sie Ihnen vermitteln möchten? Die Schüler kennen das, was Sie erlebt haben, schließlich nur aus dem Geschichtsbuch.
Die jungen Menschen, mit denen ich zu tun habe, hören mir zu, fragen ganz viel und sind unglaublich interessiert, zu erfahren, was damals geschah. Und es ist wichtig, ihnen das mitzuteilen. Wir brauchen das in der heutigen Zeit mehr denn je. In vielen Länder herrscht wieder ein schrecklicher Rechtsruck. Doch auch in Deutschland haben wir viele rechte Parteien, viele Nazis, und es wird nichts gegen sie unternommen. Zum Teil werden sie auch noch vom Verfassungsschutz beschützt. Die Justiz, die Polizei und auch der Verfassungsschutz sind meiner Meinung nach auf dem rechten Auge blind.
Welcher Art sind die Fragen, die die Schüler Ihnen stellen?
Sie beziehen sich meist auf die Vergangenheit, auf das, was ich erlebt habe. Doch ich ziehe den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart. Ich warne die jungen Menschen davor, dass sie sich nicht von den Rechten krallen lassen dürfen. Dass man gegen die Rechten angehen muss, sie dürfen nie wieder eine solche Macht erlangen. Ich erkläre den jungen Menschen, dass man nicht schweigen darf, wenn Unrecht geschieht. Damals haben alle über diese schrecklichen Verbrechen geschwiegen, und dass darf auf keinen Fall wieder passieren.
Sie haben sicher schon unzählige Male über Ihre Zeit im Konzentrationslager Auschwitz gesprochen, wo Sie als Akkordeonspielerin im Mädchenorchester von Auschwitz mitgespielt haben. Die Mädchen mussten dort regelrecht um ihr Leben spielen. Konnten Sie nach Ihrer Befreiung jemals Musik machen, ohne daran erinnert zu werden?
Es ist ganz klar, dass man sich immer daran erinnert, schließlich erinnern wir Menschen uns immer an dass, was wir erleben mussten. Schönes wie Schreckliches. Wir sind im Konzentrationslager gezwungen worden, zu spielen. Hinter uns stand die SS mit ihren Gewehren. Hätten wir nicht gespielt... man hätte uns abgeknallt. Das kann man nicht vergessen.
Wie kam es, dass Sie Akkordeon gespielt haben, eigentlich hatten Sie doch Klavierspielen gelernt?
Das Akkordeon war das einzige Instrument, das noch frei war, Klavier gab es keins. Die Dirigentin fragte mich, ob ich Akkordeon spielen könne, und da mir klar war, dass es mir helfen würde, wenn ich in diesem Orchester mitspielen würde, sagte ich, dass ich dieses Instrument beherrschen würde. Ich setzte mich in eine Ecke und probierte die Bässe aus. Die Tastatur kannte ich ja vom Klavier. Und so übte ich so lange, bis ich den Schlager "Du hast Glück bei den Frau'n, Bel Ami" beherrschte. Das war ein absoluter Hit damals. So konnte ich in dem Orchester mitwirken.
Zu welchen Gelgenheiten musste das Mädchenorchester aufspielen?
Wir mussten am Tor stehen und spielen, wenn die Arbeitskolonnen aus dem Tor marschiert sind. Die Arbeitskolonnen mussten im Gleichschritt nach unserer Musik marschieren. Außerdem spielten wir am Tor, wenn neue Transporte kamen. Oftmals wurden diese Transporte direkt in die Gaskammern geführt. Wir wussten, dass die Züge, die auf bestimmten Gleisen ankamen, direkt in die Gaskammern führten. Die Menschen in den Waggons haben uns zugewunken. Sie dachten, wo Musik gemacht wird, kann es so schlimm nicht sein. Wir standen da, mit Tränen in den Augen, mussten spielen und konnten nicht helfen. Wir haben aber auch für die Lagerinsassen gespielt. Manchmal auch für die, die im Krankenrevier lagen. Ich musste jedoch nie bei privaten Feiern von Nazis spielen. Doch ich war auch nur sechs Monate im Orchester. Ich bin 1943 nach Auschwitz gekommen und war insgesamt sieben Monate dort, sechs davon im Orchester. Als bekannt wurde, dass ich eine christliche Großmutter väterlicherseits habe, wurde ich in das Arbeitslager Ravensbrück verlegt. Dort habe ich dann für Siemens gearbeitet, bis wir im April 1945 auf einen Marsch in Richtung Westen geschickt wurden. Während des Marsches konnte ich mit sechs Freundinnen fliehen. Amerikaner haben uns dann aufgegriffen und geholfen.
Die 1983 verstorbene Sängerin Fania Fénelon beschreibt in ihrem Buch "Das Mädchenorchester von Auschwitz" die erlebte Entmenschlichung und Erniedrigung, die sie in dieser Zeit erlebt hat. Wie ist es möglich, mit dieser verzweifelten Todesangst Musik zu machen?
Dieses Buch ist von uns allen, die im Orchester waren, total abgelehnt worden, weil Fénelon sehr viele Unwahrheiten verbreitet hat. Sie beschreibt zum Beispiel, wie Mengele eine Rose auf ein Grab gelegt habe, doch es gab in Auschwitz weder Särge noch Gräber. Sie hat auch beschrieben, dass die deutschen Jüdinnen sich immer mit den anderen gezankt haben, auch dass entspricht nicht der Wahrheit. Aber natürlich war es für uns Mädchen furchtbar, unter diesen Umständen Musik zu machen. Doch wir spielten, um zu überleben.
Dennoch ist die Musik Ihnen geblieben. Was bedeutet Ihnen sie Ihnen?
Die Musik begleitet mich durch mein ganzes Leben. Mit meiner Tochter Edna und meinem Sohn Joram, der auch heute dabei ist, habe ich Anfang der 1980er Jahre die Gruppe "Coincidence" gegründet. Wir haben auch damals schon jüdische und antifaschistische Lieder gesungen. 2009 habe ich eine CD mit der Microphone Mafia aufgenommen, und heute singe ich hier.