Das Festival "Büdingen rockt für Demokratie und Vielfalt" hat am Samstagabend in der Willi-Zinnkann-Halle ein klares Zeichen gegen Rechts gesetzt.
Von Inge Schneider
Gemeinsam stark: Boris Winter, Vorsitzender des Büdinger Bündnis für Demokratie und Vielfalt, Sylvia Klein (Bündnis 90/Die Grünen), Vertreterin der Stadt, Uwe Knecht vom Bündnis, Schirmherrin Bettina Müller (SPD), Schirmherr Dr. Peter Tauber (CDU), Mo Asumang und Lothar Euler vom Bündnis (v.l.). Fotos: Schneider
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BÜDINGEN - Vor fast einem Jahr hat das 2017 ins Leben gerufene Büdinger Bündnis für Demokratie und Vielfalt um seinen Vorsitzenden Boris Winter zum ersten Mal ein Rockfestival mit viel Tiefgang als Gegenveranstaltung zum damaligen Bundesparteitag der NPD in der Willi-Zinnkann-Halle organisiert. Damals kamen zahlreiche unterstützende Vereine sowie jede Menge Gäste in das beheizte 800-Personen-Festzelt neben Büdingens Stadthalle. Der erfolgreichen Premiere folgte jetzt eine Neuauflage, diesmal mit erkennbar umverteilten Rollen: Das Festival "Büdingen rockt für Demokratie und Vielfalt" fand raumgreifend in der Halle statt - vor dem Haus keine Spur von der NPD.
Dafür tobte im Inneren von Anfang an der Bär, herrschte reger Zustrom schon bei den ersten Ansagen der beiden Bundestagsabgeordneten Bettina Müller (SPD) und Dr. Peter Tauber (CDU), die die Schirmherrschaft übernommen hatten, die von Sylvia Klein (Bündnis 90/Die Grünen) als Vertreterin der Stadt begleitet wurden. "Wir brauchen den überparteilichen Zusammenhalt aller demokratischen Parteien, um die Werte unserer freiheitlich-rechtlichen Demokratie zu stärken", sagte Müller in ihrer Begrüßungsansprache. "Diese enge Kooperation ist im Deutschen Bundestag gegeben, dem ich gemeinsam mit Dr. Tauber angehöre. Unabhängig von unterschiedlicher Parteizugehörigkeit erleben wir immer wieder, wie die Partei der Rechtsextremen rote Linien überschreitet, Tabus bricht und versucht, unsere Gesprächskultur zu verändern. Dies werden wir verhindern." Tauber stimmte seiner Kollegin zu und ergänzte, allein die im Saal versammelten Vereine und Gruppierungen zeigten, wie sehr sich Demokratie, wechselseitiges Zuhören und die Fähigkeit, Kompromisse im Kleinen zu schließen, statt dem anderen die Kommunikation zu verweigern und auf Konfrontation zu gehen, lohnen. "Wir haben hier die Büdinger Schützengesellschaft als den ältesten Verein des Ortes im Raum, daneben vielleicht Pazifisten der evangelischen Kirchengemeinde, die es ablehnen würden, eine Waffe auch nur in die Hand zu nehmen. Beide unterstützen die gleiche Sache - das ist perfekt, und genau für diese Fähigkeit des Dialogs sowie des Lernens aus unserer Vergangenheit werden wir im Ausland bewundert."
Tatsächlich waren neben den genannten Gruppierungen auch die Ehrenamtsagentur, das Bürgerforum Steinernes Haus, die Musik- und Kunstschule, die Brauch-Bar und Reparier-Bar, die jungen Verkehrsgelehrten, der Kulturkreis sowie der Spieletreff Wolf vor Ort. Gefördert wurde das Festival von den Initiativen "Demokratie leben", "Mitmischen - gemeinsam Demokratie leben in Büdingen und Altenstadt" sowie dem Landesprogramm "Hessen aktiv für Demokratie und gegen Rechtsextremismus".
Mit Deutschlands erster afrodeutschen TV-Moderatorin ("Liebe Sünde"), der gebürtigen Kasseler Dozentin, Produzentin, Schauspielerin und Sängerin Mo Asumang, hatten die Veranstalter zudem eine Rednerin ins Boot geholt, die im einstündigen Interview mit Boris Winter ihr Publikum fesselte und tief beeindruckte. Mit ihrem Regiedebüt "Roots Germania" (2007), Spiegel der Suche nach ihrer eigenen Identität, sowie "Die Arier" (2014), ihrer direkten Auseinandersetzung mit Rassisten in Deutschland und den USA, hat Asumang Film- und Politikgeschichte geschrieben. Ausgelöst durch das Lied "Noten des Hasses" der Berliner Neonazi-Band "White Aryan Rebels" und der darin enthaltenen Liedzeile "Diese Kugel ist für dich, Mo Asumang" sei ihr letztlich nur die Wahl geblieben, mit Wut und Gegenangriffen zu reagieren und die Gewaltspirale weiter anzukurbeln, sich immer mehr einzuigeln, den Kontakt zur Welt, ihren Alltag und letztlich ihr Ich zu verlieren - oder den Weg einzuschlagen, den ihr rassistisches Gegenüber eben nicht erwarte: "Authentisch reagieren, meine Herzwärme und Menschlichkeit gegen die Angriffe setzen, das Gespräch von Angesicht und Angesicht, scheinbar harmlose Fragen statt Dogmen, die aber die Brüchigkeit des ausgrenzenden nationalsozialistischen Weltbildes offenbaren - so geht mein Weg", sagte Asumang, die ihre These, dass es mit dem Slogan "Nazis raus" nicht getan sei, durch Einspielungen aus "Die Arier" untermalte. Sie selbst habe als Neugeborenes durch ihre bloße Gegenwart die Abwehr ihrer deutschen Großmutter gebrochen, die sich zunächst umbringen wollte, als sie erfuhr, dass ihre Tochter ein dunkelhäutiges Kind erwarte. "Meine Großmutter hat mich entgegen ihren ursprünglichen Plänen vom ersten Moment an in ihre Arme und ihr Herz geschlossen. Sie war es, die mich großgezogen hat - erst nach ihrem Tod habe ich erfahren, dass sie einst Schreibkraft bei der SS und überzeugte Nationalsozialistin war", berichtete die Referentin. Bereits aus dieser prägenden Episode ihrer eigenen Biografie schöpfe sie die Kraft für ihren heutigen Ansatz, den Dialog zu suchen, sofern irgendein Ansatzpunkt dafür noch möglich sei, unterstrich Asumang, die in den USA auch den Weg zu einschlägig vorbestraften Nazi-Anführern sowie in den Ku-Klux-Klan nicht scheute, stets nur begleitet von ihren Kamerafrauen.
Im Anschluss sorgten drei lokale Hochkaräter auf der Bühne für Rockmusik vom Feinsten und Partystimmung im Saal: Die vielköpfige Band Soul Büches um Frontmann Bodo Hoppe ließ Rock und Soul ab den 70ern hochleben, Tine Lott, Georg Crostewitz und Band boten ein breites Spektrum hörenswerter Coversongs, daneben eigene Lieder vom gemeinsamen Album "Ballads, Blues & Storytellers" sowie den eindringlichen Marlene-Dietrich-Chanson "Wenn ich mir was wünschen dürfte, möchte ich glücklich sein", ein Werk des berühmten jüdisch-stämmigen Berliner Komponisten und Kabarettisten Friedrich Hollaender und somit ein deutliches Statement gegen den aktuell wieder aufflackernden Antisemitismus. Für den krönenden Abschluss des Abends sorgte die Ian-Browne-Band um ihren Namensgeber Frontsänger und -gitarristen mit einprägsamen Kostproben des British Blues Rock von Joe Cocker, Eric Clapton, Gary Moore und JJ Cale.