BÜDINGEN - Seit einem Jahr gibt es das Bündnis für Demokratie und Vielfalt. Im Interview mit dem Kreis-Anzeiger redet B oris Winter, Sprecher der Gruppe, über Erfolge, Enttäuschungen und einen Kurswechsel.
Vor einem Jahr formierte sich das Bündnis für Demokratie und Vielfalt. Wie lautet Ihr Resümee?
Es ist positiv. Wir haben im vergangenen Jahr viel getan. Nun befinden wir uns in einer erneuten Findungsphase, weil wir intensiv darüber nachdenken, einen Verein zu gründen.
Warum nun doch ein Verein?
Bislang sind wir eine lose Gruppierung. Bei unseren Treffen sind immer zwischen vier und zwölf Leuten anwesend. Wir möchten uns aber breiter aufstellen. Wer einem Verein angehört, fühlt sich eher verpflichtet. Auch ist es eine Frage der Haftung. Wenn wir heute zum Beispiel eine Demonstration oder eine Mahnwache organisieren, meldet diese eine Privatperson an. Zudem fehlt uns die Möglichkeit, Geld für die Veranstaltungen zu generieren. Wir hängen finanziell am Tropf des Trägervereins „Demokratie leben“.
ZUR PERSON
Boris Winter wohnt in Rinderbügen, ist 42 Jahre und Versicherungsangestellter. Seit der Gründung des Bündnisses für Demokratie und Vielfalt im vergangenen Jahr gehört er dem harten Kern der Initiative an. (myl)
Ihre Veranstaltungen hatten Qualität, zum Teil aber wenige Zuhörer. Bleiben Sie unter sich?
Nicht direkt, aber es sind sehr oft die gleichen Gesichter. Das ist das Problem. Mit der Beteiligung an der jüngsten Mahnwache waren wir sehr zufrieden. Wir hatten gute Redner und waren etwa 50 Personen. Von dem Vortrag im Oberhof mit Dr. Christof Eichert, Vorstand der Herbert-Quandt-Stiftung, zum Thema „Wir-Gefühl“ hatten wir uns mehr Resonanz versprochen. 120 Einladungen gingen per Post raus. 40 kamen, von diesen müsste man 30 abrechnen, die immer da sind.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wir müssen uns fragen, ob man mit „verkopften Veranstaltungen“, also Vorträgen aus dem Bereich Bildung, die Leute erreichen. Ziel ist es ja, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich mit dem Thema gar nicht auseinandersetzen. Das Kinderfest in Wolf hat Spaß gemacht, da kamen wir mit den Menschen in Kontakt.
Gibt es nicht thematische Überschneidungen mit „Demokratie leben“?
Den Trägerverein kann man als Vehikel ansehen. Er wird vom Bund ausgestattet und hat keinen Selbstzweck, sondern verteilt die Mittel.
Woran liegt es, dass das Interesse am Thema Demokratie so gering zu sein scheint?
Die Leute sind das Thema über, vielen ist es egal. Die Demokratie wird heutzutage als selbstverständlich hingenommen. Die Menschen, die rechte Parteien ablehnen, und das sind etwa 90 bis 95 Prozent, sind einfach schwer zu mobilisieren.
Während Ihrer Mahnwachen halten Sie immer eine deutliche Distanz zu den Veranstaltungsorten. Ist es nicht sinnvoller, in so eine Veranstaltung zu gehen?
Das haben wir bereits gemacht. Im Endeffekt ist die Frage: Kann man dort etwas erreichen?
Warum nicht?
Man geht mit zwei Leuten rein und steht 100, die anderer Meinung sind, gegenüber. Da würde man sich nur aufreiben. An dieser Stelle ist eine Diskussion wenig aussichtsreich.
Interessiert jemanden eine Mahnwache in 100 Meter Entfernung?
Darüber haben wir intern auch diskutiert. Werten wir das Ganze damit vielleicht ungewollt auf? Wir sind zu dem Entschluss gekommen: Ja, es bringt etwas. Wir nehmen es nicht einfach hin, dass Leute kommen, die glauben, dass sie Büdingen vereinnahmen und die Meinungshoheit übernehmen können. Und wenn wir nur mit 20 Personen stehen, haben wir gezeigt, dass das in Büdingen nicht widerspruchslos funktioniert. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Müller spricht bei uns. Damit setzen wir Zeichen. Ignorieren hieße passiv sein. Wir wollen das Gegenteil.
Oft wurde davon geredet, dass man Gaststätten meidet, in denen zum Beispiel AfD-Veranstaltungen stattfinden.
Wir versuchen, Einfluss zu nehmen, indem wir mit den Leuten oder den Vereinen sprechen. Das ist legal. Man kann natürlich niemandem verbieten, einen Raum an die AfD zu vermieten. Man kann aber ankündigen, „wenn die da hinkommen, komme ich nicht. Wenn die nicht mehr kommen, komme ich wieder“. Viele machen es sich auch bequem, sagen, wir gehen schon immer da hin oder dort ist es günstig...
Welche Rolle spielt die Kirche in Ihrem Bündnis?
Unser Bündnis ist nicht politisch. Es geht größtenteils darum, wie man Menschen behandelt. Jeder Mensch ist wertvoll, keiner sollte anhand irgendeines äußerlichen Merkmals entscheiden, ob einem der Mensch passt oder nicht. Dagegen wehren wir uns. Das ist nicht politisch, sondern menschlich. Und deswegen kann die Kirche da mitmachen. Unser Name ist zugegebenermaßen sperrig, manchmal werden wir „Bündnis gegen Rechts“ genannt. Mir ist wichtig: Wir sind ein Bündnis für etwas. Klar bedeutet es auch gleichzeitig, dass man gegen etwas ist. Wenn jemand gegen die Menschlichkeit und Demokratie ist, ist er halt unser ausgemachter Gegner. Aber wir melden keine Mahnwache gegen eine Veranstaltung an, sondern für Demokratie und Vielfalt. Das soll auch so verstanden werden.
Welches sind Ihre mittelfristigen Pläne?
Uns besser mit Vereinen zu vernetzen, die sich auch für andere Menschen engagieren. Veranstaltungen zu organisieren, die viele ansprechen. Diese müssen nicht immer einen informativen Charakter haben, sondern eine schöne Atmosphäre bieten, wo sich die Leute wohlfühlen. Auch bei gemeinsamen Feiern kommen Gespräche in Gang. Wenn die Leute, die in Büdingen wohnen, sich auch als Büdinger fühlen und merken, dass der Nachbar auch Büdinger ist, dann hat man eine Gemeinschaft. Und eine Gemeinschaft ist weitaus weniger anfällig für Fremdenfeindlichkeit oder Menschenhass.