Ist eine Klangreise in die Welt berühmter französischer Orgeln möglich? Was die Zuhörer bei einem Konzert in Schotten begeisterte, war das Zusammentreffen digitaler Wiedergabetechnik und das Spiel von Dekanatskantor Kiwon Lee.
Nahm seine Zuhörer in die Klangwelt französischer Orgelmusik des Barock und der Romantik mit: Dekanatskantor Kiwon Lee. Foto: Maresch
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Schotten (em). Ist eine Klangreise in die Welt berühmter französischer Orgeln möglich? Was die Zuhörer bei einem Konzert im Dietrich Bonhoeffer-Haus begeisterte, war das Zusammentreffen hoch entwickelter digitaler Wiedergabetechnik und das Spiel von Dekanatskantor Kiwon Lee. Dieser, ein meisterlicher Orgelspieler, hatte französische Kompositionen aus Barock und Romantik gewählt und spielte sie auf berühmten Instrumenten der jeweils selben Epoche.
"Wir sind dank der Aufzeichnung von Klangfarben konkreter Orgeln in der Samplingtechnik in der Lage, uns sozusagen in die jeweilige Kirche oder Kathedrale zu versetzen", sagt Lee. Dass die evangelische Kirchengemeinde Schotten über eine so hochwertige Anlage verfügt, ist dem leidenschaftlichen Orgelmusikfreund Adolphe Kreuser zu verdanken, dessen Anlage nach seinem Tod zur Verfügung gestellt wurde.
Lee begann das Konzert mit der "Messe du 3eme ton" von André Raison aus einer "Collection pour grand Orgue", zu hören in der Klangfarbe der Isnards-Orgel der Basilika St. Marie-Madeleine im provenzalischen St. Maximin. Schön, dass das Instrument mit seinen immerhin 2960 Pfeifen fast komplett im Originalzustand erhalten ist. Es gibt eine historische Anekdote: Eine aufrührerische Menge habe während der Französischen Revolution die Kirche stürmen, Einrichtung und Orgel zerstören wollen. Als der Organist geistesgegenwärtig die Marseillaise anstimmte, seien sie wieder abgezogen. In einem beiliegenden Programm gab Lee mit jeweils vier Bildern die Ansicht der Orgelprospekte, der Spieltische und Manuale wieder. Bei der Isnards-Orgel sind es 45 Registerstimmen, vier Manuale und Pedal. Orgeln des Barock gelten als hell, mit klaren Konturen und aufwendiger Ausstattung mit Zungenregistern. Raison hatte eine Orgelmesse mit Wiederholung der liturgischen Formen geschrieben, aus der Lee 14 Sätze auswählte. Bei dieser Komposition setzte Raison vielfältige musikalischen Formen, alle Register einer großen Orgel, ein. Die Zuhörer waren beeindruckt von der kompositorischen Fantasie, dem unterschiedlichen Charakter der Sätze. So war ein dunkles schweres Pedalsolo im Bass bei einem Kyrie zu hören. Bläserbetonte Abschnitte folgten im Mittelteil, wobei Krummhorn-, Oboe- und Flöten-Register zum Einsatz kamen. Ein kraftvolles Agnus dei, ein inniges Deo gratias bildeten den Schluss.
Jean Langlais, schon als Kind erblindet, schrieb bis in die 1960er Jahre zahlreiche Orgelkompositionen und war mehr als 40 Jahre Organist an der Pariser Kirche St. Clotilde. Lee hatte "Thème et Variations" und "Epilogue sur un Thème de Frescobaldi pour pédale solo" gewählt und spielte es in der Klangfarbe der Binns Orgel der Old Independent Church in Haverhill, erbaut 1901. Er habe bewusst diese spätromantische Komposition auf einer Orgel mit weniger Nachhall spielen wollen, betont Lee. Einem schlichten neobarocken "Thema mit Variationen" folgte der Epilog im Pedalsolo mit vierstimmigen dramatisch gefärbten Passagen und einer eingeschlossenen dreistimmigen Fuge eingeschlossen. Das war ein Bravourstück Lees und das Publikum dankte mit Bravorufen.
Ein ganz spezielles Klangideal, ausgedrückt in Kompositionen symphonisch-orchestralen Charakters und am werktreusten spielbar auf entsprechend gebauten Orgeln mit verbessertem Schwellwerk, war ein Charakteristikum der französisch-romantischen Orgellandschaft. Lee hatte geradezu ein "Doppelbeispiel" dieses Typs gewählt, das Adagio und das Final aus Orgelsymphonie III von Charles-Marie Widor, gespielt auf der berühmten Cavaillé-Coll-Orgel der Abtei St. Etienne in Caen. Weich, im feinen Zusammenklang mit der dunklen Bass-Linie und mit einer verzierten Kadenz endend, erklang das Adagio. Das Finale bot expressive Passagen, Anklänge an andere Instrumente, etwa Streicher, und dramatische Elemente. "Kiwon Lee erzählt auf der Orgel Geschichten" sagt Pfarrer Udo Heuermann. Zuhörerin Doris von Peschke war so begeistert von diesem Konzert, dass sie mit dem Geschenk eines großen Spiegels auch den Zuhörern in den hinteren Reihen den Blick auf Lees unglaublich flinkes und präzises Fingerspiel geben will.