Wenn der Stapel immer höher wird

Ein Gespräch mit der Schuldnerberatungsstelle der FAB gGmbH für Frauen-Arbeit-Bildung in Büdingen über Versuchungen, Verdrängung und neuen Mut.
Teuer ist das Leben geworden. Steigende Kosten und Inflation treiben die Zahl überschuldeter Menschen in die Höhe. Selbst wer noch nie Zahlungsschwierigkeiten hatte, kann plötzlich in eine finanzielle Schieflage geraten. Das merken auch die Schuldnerberater Sebastian Waffenschmidt und Katharina Ickes bei der FAB gGmbH für Frauen-Arbeit-Bildung in Büdingen. Sie gehen davon aus, dass der Beratungsbedarf in nächster Zeit noch steigen wird. Mit einer offenen Sprechstunde will die FAB nun Menschen ermuntern, sich beizeiten Rat zu holen, damit die Schuldenfalle gar nicht erst zuschnappt, sagt FAB-Geschäftsführerin Karin Frech.
»Über Geld spricht man nicht«, sagt ein Sprichwort. Über Schulden vermutlich erst recht nicht. Wie groß ist die Scham der Menschen, die Ihre Beratungsstelle aufsuchen?
Sebastian Waffenschmidt: Unsere Kunden kostet es in der Tat ziemlich viel Überwindung, zuzugeben, dass sie nicht mehr alleine zurechtkommen. Weil die Hemmschwelle so hoch ist, ermutigen wir die Ratsuchenden zunächst, einfach nur zu erzählen, frei von der Leber weg. Dabei geht es nicht nur um die Schulden. Das schafft Erleichterung und nimmt etwas von dem Druck, unter dem sie stehen. Wenn ein Gläubiger ankündigt, rechtliche Schritte einzuleiten, dann löst das mitunter Panik aus. Die Menschen haben Angst vor strafrechtlicher Verfolgung. Aber wegen Schulden kommt niemand ins Gefängnis.
Katharina Ickes: Wer zu uns kommt, hat schon den ersten Schritt getan. Helfen und regulieren kann man nämlich nur, wenn jemand mitarbeitet.
Das Leben auf Pump ist gesellschaftlich akzeptiert und wirtschaftlich gewollt. »Buy now - pay later« lockt der Online-Handel.
Katharina Ickes: Das ist in der Tat ein Problem, davon sind besonders junge Menschen betroffen. Die haben manchmal gleich mehrere Handyverträge. Der Kauf-Button im Internet (»Jetzt kostenpflichtig bestellen« Anm. d. Red.) fördert geradezu ein Suchtverhalten.
Wer kommt zu Ihnen in die Beratung?
Sebastian Waffenschmidt: Die meisten Ratsuchenden sind Bezieher von Sozialleistungen, Menschen, die durch das Raster fallen, Menschen, die zu wenig verdienen, um sich einen Rechtsanwalt für die Beratung leisten zu können.
Katharina Ickes: Wir haben auch schon gut verdienende Selbstständige beraten, die abgerutscht sind, weil sie über ihre Verhältnisse gelebt haben. Man tappt ganz schnell in die Kostenfalle, wenn die Einnahmen weniger werden, man aber am gewohnten Lebensstandard festhält.
Karin Frech: Stark betroffen von Schulden sind besonders auch Alleinerziehende. Der Staat macht es diesen Eltern nicht gerade leicht. Wer zwei kleine Kinder hat, ist auf gute Betreuungsangebote angewiesen. Wenn die fehlen, kann man vielleicht nur in Teilzeit arbeiten oder gar nicht. Dann reicht das Einkommen nicht und so dreht sich die Spirale nach unten.
Wenn jemand den Weg zu Ihnen findet, sitzt er eigentlich schon in der Patsche, oder?
Sebastian Waffenschmidt: Ja, leider. Die meisten Leute kommen erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Manche Menschen halten ihre Schulden sogar vor dem Ehepartner geheim.
Wie ist das weitere Vorgehen nach dem ersten Gespräch?
Sebastian Waffenschmidt: Bestenfalls haben die Kunden alle relevanten Unterlagen schon sortiert. Das klappt mal gut, mal klappt es gar nicht, dann bekommen wir eben viele ungeöffnete Briefe, weil die Post liegen geblieben ist. Wir lassen unsere Kunden auch eine Selbsteinschätzung vornehmen: Wissen sie überhaupt, wie hoch ihre Schulen sind und wie diese sich zusammensetzen? Dann beantragen wir eine Schufa-Auskunft und erstellen eine Gläubigerliste. Sind alle Gläubiger beisammen, werden sie informiert, dass der Schuldner jetzt in der Beratung ist.
Das ist doch sicher schon eine große Erleichterung.
Katharina Ickes: Psychologisch betrachtet ist das sehr wichtig. Der Briefkasten ist jetzt leer, die Angst vor der Angst ist weg.
Und wann sind die Schulden weg?
Sebastian Waffenschmidt: Das ist mitunter ein langer Weg. Wenn man weiß, wie viele Gläubiger zu bedienen sind und wie hoch die Schulden sind, wird im nächsten Schritt überlegt, was man zur Tilgung anbieten beziehungsweise ob und wie man sich mit den Gläubigern einigen kann. Sollte dieser außergerichtliche Einigungsversuch scheitern, hat der Kunde die Möglichkeit, das Verbraucherinsolvenzverfahren zu beantragen. In diesem Verfahren haben die Schuldner viele Pflichten. Sie müssen unter anderem dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und sich aktiv um die Aufnahme einer Arbeit bemühen, Auch das Gericht und der Insolvenzverwalter sind prinzipiell zu bezahlen. Das erfordert eine Menge Disziplin. Wenn man das durchhält, gibt es nach drei Jahren eine Restschuldbefreiung.
Hält man das denn durch?
Katharina Ickes: Manchmal gibt es regelrecht einen Motivationskick. Da weiß jemand genau, dass er Mist gebaut hat, sieht aber auch den Weg, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Oftmals sind gerade junge Menschen sehr bestrebt, ihren Schufa-Eintrag wieder in Ordnung zu bringen, um sich nicht mehr verstellen zu müssen, beispielsweise bei der Suche nach einer Wohnung.
Nun werden Sie für Kunden der sogenannten freien Beratung, also ohne Beratungsschein des Jobcenters, donnerstags eine offene Sprechstunde anbieten. Welchen Hintergrund hat das?
Karin Frech: Wir sehen den steigenden Beratungsbedarf angesichts der teilweise sehr extremen Kostensteigerungen in vielen Bereichen. Dem möchten wir Rechnung tragen.
Sebastian Waffenschmidt: Die freie Beratung wurde schon seit jeher angeboten. Sie soll nun aber auf einen Tag konzentriert werden, an dem Hilfesuchende ohne Termin vorbeikommen können. In erster Linie geht es hier um Hilfe zur Selbsthilfe. Was sind die nächsten Schritte, die man selbst unternehmen kann? Wird beispielsweise ein Konto gepfändet, können wir eine sogenannte Pfändungsschutzkonto-Bescheinigung ausstellen, damit dem Schuldner überhaupt noch Geld bleibt, um notwenige Kosten weiter decken zu können. Wir helfen auch bei der Klärung von Leistungsansprüchen. Manchmal sind die Schulden nur ein Problem von vielen. In diesen Fällen verweisen wir auch zu einer psychosozialen Beratungsstelle oder zur Drogenberatung.
Katharina Ickes: Auch ganz praktische Tipps kann man bekommen, Vordrucke für To-Do-Listen zum Beispiel, Vorlagen für Ordner, um überhaupt erst einmal eine Übersicht über die eigenen Angelegenheiten zu bekommen. Im Blick haben wir besonders auch junge Erwachsene, denen es häufig an Finanzkompetenz fehlt und deren Konsumverhalten unangemessen ist. Man muss keine Angst vor dem Thema haben. Hingehen, zuhören, das ist allemal besser, als den Stapel daheim immer höher werden zu lassen.
Was sollte man tunlichst vermeiden, um erst gar nicht die Schuldnerberatung in Anspruch nehmen zu müssen?
Sebastian Waffenschmidt: Man sollte nicht auf Raten kaufen, sondern immer nur das, was man auch bezahlen kann. Statt teure Handyverträge abzuschließen, sollte man lieber Prepaid-Karten nutzen. Ein Haushaltsbuch hilft dabei, den Überblick zu behalten: Was kommt rein, was geht raus? Wenn mehr rausgeht, als reinkommt, muss ich handeln.
Karin Frech: Man muss allerdings auch sagen, dass die Möglichkeiten, zu sparen, immer knapper werden. Dazu müsste man die Einnahmen erhöhen. Aber das ist schwer.
Katharina Ickes: Miete und Strom sollten jeden Monat zuerst bedient werden. Wenn die Miete nicht mehr bezahlt wird, kommt die Spirale ganz schnell in Gang. Und wenn man merkt, dass man die Post nicht mehr öffnen will, dann ist es allerhöchste Zeit, sich um Hilfe zu kümmern.
Was ist Ihre Motivation für diese Arbeit?
Katharina Ickes: Das Schönste ist, dass man den Menschen, die eine große Last mit sich herumtragen, Hoffnung geben kann und dass sie ihre Ängste und Sorgen loswerden können, ohne dafür verurteilt zu werden. In der Beratung geht es darum, eine Lösung zu finden und nach vorne zu blicken.
Sebastian Waffenschmidt: Mir hat vor Kurzem eine Kundin gedankt, der ich geholfen habe. Sie sagte, sie lebe seit 30 Jahren in Deutschland und sei noch nie so gut behandelt worden. Das hat mich berührt.
Die Schuldnerberatung unterstützt Menschen dabei, einen Überblick über ihre Schulden zu bekommen und mit den Gläubigern zu verhandeln. Die Schuldnerberatungsstelle der FAB gGmbH für Frauen-Arbeit-Bildung in Büdingen im ehemaligen Kaufhaus Joh gibt es seit 2015. Sie ist zuständig für die Menschen im Altkreis Büdingen sowie in den Städten Bad Vilbel und Karben. Leiter ist der Rechtsanwalt Sebastian Waffenschmidt. Gemeinsam mit der ausgebildeten Schuldnerberaterin Katharina Ickes betreut er zur Zeit etwa 170 Fälle. Diese ist Voraussetzung für die Anerkennung als Schuldnerberatungsstelle. Die Vorlaufzeit in Büdingen ist verglichen mit anderen Regionen gering. Nach Auskunft von Katharina Ickes muss man maximal zwei Wochen auf einen Beratungstermin warten. Donnerstags findet nun von 9 bis 15 Uhr eine offene Sprechstunde statt. Hier will die FAB vor allen Dingen auf Prävention setzen, damit es erst gar nicht zu einer Überschuldung kommt. Geplant ist, die Sprechstunde um Seminare und Vorträge zu erweitern. Auch eine Zusammenarbeit mit Schulen wird angestrebt, um die Finanzkompetenz junger Menschen zu stärken.