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Lothar Keil - ein Büdinger Charakterkopf wird an diesem Sonntag 80

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Von: Björn Leo

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Menschen wie Lothar Keil machen die Gesellschaft reicher. Am Sonntag wird der Büdinger Ehrenbürger 80. © Björn Leo

Lothar Keil ist einer der letzten Charakterköpfe, die Büdingen noch hat. Kaum jemand hat so viel Schneid und steckt derart voller Lebensfreude. Jetzt wird der Ehrenbürger der Stadt Büdingen 80.

Grobe Kaventsmänner und elegante Rundungen, von denen so manche an den weiblichen Körper erinnern, suhlen sich im warmen Licht. In der Büdinger Altstadt dürfte es keinen vergleichbaren Ort geben, an dem sich ihre Geschichte und die Poesie so nah kommen, wie in den Türmen des Jerusalemer Tores. Lothar Keil hat der Stadt, die längst seine Heimat ist, ein einzigartiges Museum geschenkt. Dass der Mann dort, inmitten des rotbrauen Sandsteins, eine Begegnungsstätte geschaffen hat, in der an guten Tagen der Herzschlag Büdingens zu spüren ist, mag sein wahres Verdienst sein. Am Sonntag wird der Ehrenbürger 80.

Gute Tage und schnöder Mammon

Gute Tage - davon hat Lothar Keil der Stadt schon etliche beschert. Im Großen wie im Kleinen hinterlässt der gebürtige Ostpreuße Spuren. Seit 20 Jahren leitet er das Sandrosenmuseum im Untertor, dessen Türme er mustergültig saniert hat. Seiner Passion für die Geologie ist es zu verdanken, dass an vielen Orten Jahrmillionen der Wetterauer Erdgeschichte nachzuvollziehen sind. Lothar Keil hat Geotope wie den Klosterkopf bei Eckartshausen freigelegt und die Steingalerie auf dem Altstadtparkplatz geschaffen. Der Wilde Stein, ein Kleinod, das Raffgier und dem schnöden Mammon geopfert wird, könnte Weltkulturerbe sein. Freilegung, Pflege und Erforschung der wertvollen Säulenbasaltformation über der Stadt tragen Keils Handschrift. »Dass der Charakter der Stadt kaputtgetreten wird, dass dieses Denkmal hinter Geldanlagen und Pomp verschwindet, ist beschämend«, sagt er.

Es gibt in Büdingen nicht viele Menschen, die Missstand und Fehlentwicklungen beim Namen nennen. Der Mann hat zweifelsohne Schneid - eine Eigenschaft, die dem Gros der städtischen Entscheidungsträger abgeht. Sein ehrenamtliches Engagement macht Lothar Keil zum Vorbild, die offene Art, seine Menschenkenntnis, die künstlerische Ader, seine Lebenslust und seine Gabe, zum richtigen Zeitpunkt den Grantler zu geben, machen ihn zum Bindeglied zwischen denen da oben und dem Volk. Im Schloss Bellevue ist er 2015 von Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck empfangen und für sein Wirken ausgezeichnet worden. Es rührt ihn, keine Frage. Doch das handfeste Gespräch beim Bier und die Versuche, das Übel draußen auf dem Altstadtpflaster bei den Wurzeln zu packen, statt Sonntagsreden aus der Hauptstadt zu lauschen, sind dem Büdinger viel näher.

Am Rand der Gesellschaft

Lothar Keil mag zuweilen ein Schöngeist sein. Tief drinnen aber geht es ihm immer um die Begegnung mit Menschen. »Die, die am Rande der Gesellschaft stehen, sind mir ans Herz gewachsen«, sagt er. Zu seiner Vita zählt die Zusammenarbeit mit Pastoren, mit Pädagogen, mit Philosophen und Theologen. Keil, der Autodidakt, ließ sich immerzu inspirieren, lernte stets dazu, ließ sich treiben, brachte sich ein. Er verdingte sich als Künstler, als Handwerker, arbeitete in der Pflege, hielt Vorträge und brachte Leute zusammen. Mit seiner Frau baute er in Hirzenhain die Schule für Praktisch Bildbare auf, hatte dort eine Zeitlang einen Lehrauftrag.

Wer ihm zuhört, merkt, dass manche Etappen seines Lebensweges steinig waren, vor allen Dingen die frühen. Am 29. Januar 1943 in Königsberg geboren, gehörte er zwei Jahre später zu einem Treck von Vertriebenen. Acht Geschwister, Lothar war der Benjamin. Sein Vater blieb im Krieg, seine Mutter starb 1953. Lothar Keil verbrachte Teile seiner Kindheit im Waisenhaus, wuchs später bei einer Tante in Berlin auf. Später lebte er bei einer Schwester in Frankfurt. Das Windecker Schloss, das alte Schäferhäuschen in Konradsdorf und Kefenrod sollten weitere Stationen werden. Erst 1990 zog es Lothar Keil und seine Frau nach Büdingen.

»Zum Glück werde ich 80 Jahre«, betont der Jubilar. Von seinen vier Brüdern hat das keiner erlebt. »Das sorgte für eine innerliche psychische Schranke bei mir.« Ein Bruder wollte aufgrund des Schicksals seiner Geschwister unbedingt 60 werden. »An seinem Geburtstag starb er eine Stunde nach Mitternacht an einem Schlaganfall.« Es sind einschneidende Erfahrungen, die den Menschen nicht nach Reichtum und Ruhm streben lassen. Lothar Keil gönnt jedem alles Glück der Welt. Er spricht es nicht aus, jedoch merkt man, dass es ihm mit Blick auf die Gesellschaft keineswegs behagt, dass Demut und Barmherzigkeit mehr und mehr einer schulterzuckenden Gleichgültigkeit weichen.

Die Altstadt - nicht nur Kulisse

Gewiss, Lothar Keil geht inzwischen etwas langsamer die Stufen der Sandsteintreppe in seinem Turm hinauf. Er erzählt von seinen beiden Töchtern und seinem Sohn, der ganz wie der Vater Sandrosen sammelt und einmal das Museum weiterführen soll. »Julian würde es gerne übernehmen«, sagt er. Damit geht für Lothar Keil ein Wunsch in Erfüllung. Zwei weitere äußert er zudem: Das ehrenamtliche Engagement möge in der Stadt einen höheren Stellenwert erfahren. Und er ruft die Verantwortlichen aus Rathaus und Politik dazu auf, die Bürger der Altstadt weniger zu überfrachten und mehr mit ihnen in den Dialog zu treten. »Die Altstadt ist keine Festkulisse, an der man sich nach Herzenslust bedienen kann. Hier haben Menschen ihren Lebensmittelpunkt, ihre Heimat. Das liest man aber nicht in den bunten Prospekten, die für ach so tolle Festlichkeiten werben.«

Gott sei Dank ist Lothar Keil auch mit 80 das Gewissen einer Stadt, die stolz sein darf, einen wie ihn als Ehrenbürger zu haben.

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