Liam Ulrich - ein Streiter für gute Jugendarbeit in Büdingen

Jung, meinungsstark und erfrischend in der Art: Das ist Liam Ulrich, seit dem vergangenen Sommer Vorsitzender des Kinder- und Jugendbeirats in Büdingen. Ein Interview zur Jugendarbeit.
Das Jugendzentrum im Casa Atrium ist aktuell geschlossen. Noch immer läuft mit Blick auf die Büdinger Jugendarbeit vieles unrund. Dennoch agiert an der Spitze des Kinder- und Jugendbeirats mit Liam Ulrich seit einigen Monaten ein junger Mann, der die Lage im Gespräch mit dieser Zeitung erstaunlich offen und zuspitzend, aber alles andere als hoffnungslos skizziert.
Herr Ulrich: Auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 10 (gut): Wo ordnen Sie die Büdinger Jugendarbeit zu Beginn des Jahres 2023 ein?
Insgesamt bei 7. Wir sind nicht viele im Kinder- und Jugendbeirat, stecken dennoch jede Menge Arbeit und Zeit rein. Die Unterstützung der Ersten Stadträtin Katja Euler, hilft uns durch eine schwere Zeit. Nicht zuletzt durch sie haben wir Kontakt zur SV, zu den Schülervertretungen, aufbauen können. Unser Problem ist eher, dass wir als Gremium zu wenig Mitstreiter haben.
Woran liegt das?
Der Start war bereits denkbar holprig Es gab anfangs nur sieben Bewerber. Weniger hätten es zur Gründung gar nicht sein dürfen. Inzwischen ist ein Mitglied fortgezogen, ein weiteres beruflich stark eingespannt. Häufig sind wir nur zu fünft. Vier Leute braucht es, um beschlussfähig zu sein. Ich meine, die bürokratischen Hürden sind zu groß. Wenn jemand beispielsweise 14 Jahre jung ist und erfährt, dass eine Wahlperiode vier Jahre dauert, dann mag das Gefühl, sich seine gesamte Jugend verpflichten zu müssen, eher abschreckend wirken. Der Beirat ist ein starres Konstrukt. Dennoch spüren wir das Interesse. Die Jugend-Demokratiekonferenz im Herbst etwa hat uns näher an die Büdinger Schulen herangebracht. Und ganz nebenbei haben Jugendliche gelernt, was es bedeutet, sich politisch zu informieren, demokratisch mitzumischen.
Woran fehlt es Jugendlichen in Büdingen?
An einem Rückzugsort, an Treffpunkten. Es gibt keine Kneipe, die junge Leute anspricht, nur Shisha-Bars. Die haben aber in weiten Teilen kein gutes Image. In Büdingen gibt es kaum attraktive Adressen für Jugendliche und junge Erwachsene.
Kann das Casa Atrium, in dem sich seit einiger Zeit das Jugendzentrum befindet, diese Lücke schließen?
Nur bedingt. Vor allem aktuell ist die Situation äußerst unbefriedigend. Der Stellenplan der Stadt Büdingen sieht in der Verwaltung zwei Vollzeitstellen für die Jugendarbeit vor. Eine Stelle ist schon länger unbesetzt, die andere jetzt auch, nachdem die Mitarbeiterin in Richtung »Planet Zukunft« gewechselt ist. Wirkliche Unterstützung gibt es deshalb fürs Casa Atrium nicht. Da fühlt man sich manchmal im Stich gelassen.
Welche Folgen hat das im Alltag?
Ganz konkret bedeutet das, dass das Jugendzentrum mangels Fachpersonal geschlossen hat. In der Vergangenheit kam es schon oft zu absurden Situationen. Als die Möbel fürs Casa Atrium geliefert wurden, war niemand aus dem Rathaus, das sich Luftlinie keine 200 Meter entfernt befindet, in der Lage, sich darum zu kümmern. Ich habe zu diesem Zeitpunkt in Friedberg gearbeitet. Dank Gleitzeit konnte ich aus der Kreisstadt nach Büdingen fahren, habe die Möbellieferung angenommen und bin wieder zurück zum Arbeiten nach Friedberg gefahren.
Das kann ja kein Zustand auf Dauer sein.
Nein. Ich hoffe, dass die beiden Stellen mit gutem Personal besetzt werden, das sich auch länger in Büdingen einbringen kann. Jugendarbeit, das wird häufig vergessen, muss mit Jugendlichen stattfinden. Das hat in der Vergangenheit kaum geklappt. Nachdem die Stadt die Räume im Casa Atrium gekauft hat, ist nicht wirklich viel passiert. Gab es einen Plan? Wäre überhaupt etwas passiert, wenn der Kinder- und Jugendbeirat nicht aktiv geworden wäre? Ich glaube nicht.
Auf Dauer kann das Gremium das nicht leisten. Zudem fehlt der Arbeit jegliche pädagogische Unterstützung. Wir brauchen Fachkräfte im Jugendzentrum. 14, 15 Jahre alte Teenager können die Betreuung nicht stemmen.
Wie soll das in Zukunft laufen?
Es braucht richtig gute Leute, die fachlich fit sind. Ideal wäre, wenn eine Verzahnung mit der Schulsozialarbeit in Angriff genommen wird, wenn wir offene Nachhilfe und kreative Angebote schaffen könnten. Das kann zum Beispiel ein PC-Raum sein, in dem Schüler eine Präsentation erstellen können, die sie in der Schule halten müssen. Wünschenswert wäre natürlich die Vernetzung mit den Jugendräumen in Düdelsheim und Wolf sowie mit dem geplanten Treffpunkt in Rinderbügen. Auch dort ist auf Dauer eine fachliche Begleitung unabdingbar.
Interessiert sich denn die Politik für Ihre Arbeit?
Das Interesse ist schon erkennbar. Manche Stadtverordnete kommen zu jeder Sitzung, suchen auch das Gespräch. Die FWG-Fraktion hat sich mal zu einem intensiven Gespräch mit uns getroffen. Leider kommen aus der Politik aber zu oft Äußerungen, die an der Realität vorbeigehen.
Wie meinen Sie das?
Manche sprechen über Jugendarbeit oder übers Casa Atrium, ohne auch nur einmal dort gewesen zu sein.
Vor einem Jahr sorgte die Idee, das marode Hallenbad neben den Schulen in ein Jugendzentrum umzuwandeln, für Furore. Vor allem bei jungen Menschen. Was halten Sie davon?
So charmant das klingt: Ein Umbau des Hallenbads in ein Jugendzentrum ist absolut unrealistisch und Augenwischerei. Ein typisches Wahlkampfthema, populistisch aufgeheizt und jungen Leuten schmackhaft gemacht. Dass sich ein solches Vorhaben gut macht, Schüler sich sofort ausmalen können, wie cool ein Treffpunkt in diesem Gebäude wäre, liegt doch auf der Hand. Ich denke da sofort ans Alte Hallenbad in Friedberg, das als Veranstaltungslocation und Kulturstätte ein Traum ist. Unser Bad in Büdingen derart umzubauen, ist schlicht und ergreifend zu teuer. Da bewegen wir uns im zweistelligen Millionenbereich. Die Stadt hat genug Pflichtaufgaben, deren Finanzierung schwierig ist: die Schaffung von ausreichend Betreuungsplätzen, der Neubau von Kindergärten und Feuerwehrgerätehäusern, der Hochwasserschutz und die Landesgartenschau 2027. So sehr ich es gerne anders hätte: Wir sprechen von einer freiwilligen Leistung. Jugendarbeit in dieser Dimension ist nicht umsetzbar.
Das Jugendzentrum im Casa Atrium ist nicht unumstritten. Was halten Sie von diesem Standort?
Ich bin glücklich damit. Das Casa Atrium ist ein Projekt, das langfristig laufen muss, damit es Früchte trägt. Inzwischen ist erkennbar, dass die Räume von jungen Leuten genutzt werden. Als nächstes sollte der barrierefreie Ausbau angegangen werden.
Manches hat aber überhaupt funktioniert. Die Idee, im Keller einen Proberaum für Bands einzurichten, entpuppte sich als Rohrkrepierer.
Ja, das stimmt. Das lag eigentlich auf der Hand. Der Raum, der Zugang, der Brandschutz und die Tatsache, dass wir uns ja in einem Wohnkomplex befinden, sprachen im Grunde von Anfang an dagegen. Dennoch hat der Kinder- und Jugendbeirat in Zusammenarbeit mit der Stadt und der katholischen Pfarrgemeinde eine prima Alternative im Haus Walburga im Steinweg gefunden. Dort soll ein Proberaum angemietet werden, die Gespräche laufen erfolgversprechend. Das notwendige Equipment, damit dort eine Band proben kann, also Schlagzeug, Verstärker und Co., ist schon bestellt. Noch in diesem Jahr können Jugendliche dort Musik machen.
Welche Projekte hat das Gremium als nächste auf seiner Agenda?
Der Kinder- und Jugendbeirat möchte das Casa Atrium weiterentwickeln. Wenn allen klar ist, dass die Räume, die Art der Treffen, die Angebote und die Betreuung permanent vorangetrieben und der jeweiligen Zeit angepasst werden müssen, dann hat das Jugendzentrum an diesem Standort eine gute Chance.
Wir blicken aber auch auf den Dohlberg: Das Gelände der Haupt- und Realschule sowie des Wolfgang-Ernst-Gymnasiums ist eingezäunt. Das ist für junge Menschen in Büdingen ein großes Problem, weil ihnen ein wichtiger Treffpunkt genommen worden ist. Dort gibt es beliebte Kleinsportfelder, auf denen fast täglich Fußball gespielt worden ist. Das Gelände war immer auch Rückzugsort, sorgte für viele auch unbewusst für eine Bindung zu den Schulen. Zudem hören wir, dass Schüler nach Unterrichtsende immer mal wieder vor verschlossenen Toren stehen. Wir suchen deshalb das Gespräch mit dem Wetteraukreis, dem Schulträger, und mit der Politik. Wir sind bestrebt, eine Lösung herbeizuführen, die einerseits die Sicherheit des Areals gewährleistet und andererseits Kindern und Jugendlichen wieder die Möglichkeit gibt, sich dort zum Kicken zu treffen.
Der Beirat hat auch die Landesgartenschau in vier Jahren im Blick. Wenn in Büdingen über Stadtentwicklung gesprochen wird, dürfen auch Angebote für junge Leute nicht aus dem Blick geraten. Es gibt bereits die Idee eines Pumptracks, eines Geländes für Radfahrer, auf dem Kraft und Geschicklichkeit gefragt sind, das zum Beispiel auf dem Platz vor der Stadtbücherei entstehen könnte. Und dass wir das Sportgelände unterhalb der Schulen auf dem Dohlberg befürworten, steht ohnehin außer Frage.