Beklemmend und eindringlich

Zum 77. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz zeigt das Frankfurter Gallus Theater den Film »Prozess Auschwitz Erinnern«. Mit dabei: zwei in der Region bekannte Männer.
Es ist eine Landschaft, für die ich bestimmt war und der ich entkam. Mein Name stand auf der Liste derer, die dorthin für immer übersiedeln sollten « - mit beklemmender Eindringlichkeit liest der Schauspieler Edgar M. Böhlke einen Text von Peter Weiß. Als Sohn eines jüdischen Vaters war dem Autor noch die Emigration nach Schweden gelungen, aber das Schicksal derer, die diese Chance nicht gehabt hatten, ließ ihn nicht los. Hinter Böhlke ist auf einer Filmleinwand ein historisches Schwarz-Weiß-Bild von Schienen zu sehen, die auf eine Mauer und ein gedrungenes Eingangstor zulaufen: der Eingang zum Konzentrationslager Auschwitz.
Konfrontation mit Vernichtungssystem
Zum 77. Jahrestag der Befreiung zeigt das Frankfurter Gallus Theater den Film »Prozess Auschwitz Erinnern«, eine Produktion des freien Ensembles »Theater Prozess«. Mitwirkende sind Dr. Ulrich Meckler als Initiator, Regisseur und Dramaturg, Gerhard Müller-Hornbach (Komposition), Johanna Greulich (Solistin) und als Akteure neben Böhlke noch Barbara Englert und Ilja Kamphues. Für das Video-Editing war Rainer Brumme zuständig, für die wissenschaftliche Beratung Professor Dr. Elisabeth Rohr. Kameramänner waren Meckler und Bernd Löser.
Ulrich Meckler, der zunächst Soziologie und Theaterwissenschaften studierte und dann zur Medizin wechselte, praktizierte lange als Internist in Gedern. Im Ruhestand hat er wieder Zeit, seine Faszination für das Theater auszuleben. In Zusammenarbeit mit anderen Künstlern entstehen im »Theater Prozess« ebenso kreative wie kritische Produktionen, wie etwa »Wort - Gewalt - Tat« zur Verrohung der Sprache im Umgang mit Asylsuchenden.
Der Kontakt zu Böhlke kam vor langer Zeit über Mecklers Tochter Lena zustande, die bei dem prominenten Schauspieler und Professor an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Gestaltung ein Studiensemester absolvierte. Aus Ideen Mecklers wurden Produktionen entwickelt, bei denen Böhlke aktiv war: 2012 der Liederabend »Brecht Eisler Exil« im Gederner Schloss, 2013 im Gallus Theater die szenische Collage »Prozess Auschwitz Peter Weiss«, 2018 »Adler.Werke.Katzbach«, eine Darstellung eines Kapitels vergessener, verleugneter Unrechtsgeschichte mitten in Frankfurt 1944/1945. Der Name »Theater Prozess« ist glücklich gewählt. »Aus einer offenen Idee entsteht im wechselseitigen Austausch der Beteiligten, in Auseinandersetzung und Konkretion eine bühnenreife Endform«, beschreibt Böhlke die Arbeitsweise.
»Prozess Auschwitz Erinnern« verstört und erschüttert auf verschiedenen Ebenen. Zum einen durch die Konfrontation mit dem zutiefst menschenverachtenden Vernichtungssystem Auschwitz, gespiegelt in Aussagen von Tätern und Opfern im Frankfurter Prozess von 1963. Und zum anderen durch Abgründiges in Musik, Bildern, Symbolen und gesprochenen Erinnerungsfragmenten. Die Protokolle des Auschwitz-Prozesses waren das Ausgangsmaterial.
Englert steht in einem dunklen Raum, mitten in einem strahlenförmigen Kreis großer Papierblätter. Darauf gedruckt sind Zeugenaussagen dazu, was den Häftlingen damals angetan wurde. Zunächst spricht Englert fast nüchtern, dann in Satzfragmenten, immer mehr stockend und pausierend, während sie die Papierbögen zerknüllt. Deutlich wird die unerträgliche Aufgabe der einstigen Opfer, sich an die Brutalität im Lager zu erinnern und in Sprache zu fassen. Meckler beschreibt das als »Partitur aus Stimmen«. Er schildert die eigenartigen Klänge dazwischen als »Komposition für Sopran, Aktionen, Rauminstallationen«.
In der Erinnerung der Zuschauer wird auch der Blick auf die Anklagebank bleiben. Sechs schwarze Stühle stehen da. Nacheinander besetzt sie Böhlke in der filmischen Montage als Angeklagter. Als dümmliche Ausrede (»Ich habe nur meine befehlsbedingte Verantwortung wahrgenommen«), patzig, selbstmitleidig oder auftrumpfend bilden die Aussagen eine Mauer der Verleugnung. Kein einziger übernimmt Verantwortung für das, was er getan hat.
Info: Der Film wurde mit Mitteln von Stiftungen, Vereinen, der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen gefördert. Er wird für Gedenk- und Diskussionsabende, Bildungszwecke, etwa an Schulen, und für nicht-kommerzielle Veranstaltungen kostenlos verliehen. Weitere Infos gibt es per E-Mail an meckler@t-online.de. VON ELFRIEDE MARESCH